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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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undTrost war seiner Meinung nach wohl das, was Sie bei ihm gesucht haben.«
    »Ja, aber ich fühle mich einfach nicht wohl, wenn ich eine Sache nicht verstehe. Halten Sie das für sehr seltsam?«
    »Nein, aber es ist auch nicht gerade normal, vielleicht weil es Gefahren birgt. Ich will damit sagen, dass es den Alltag durcheinanderbringt. Ich weiß nicht, ob beispielsweise Mrs. Tipton dies für eine wünschenswerte Eigenschaft hielte.« Mary lächelte verschmitzt, und Déprez dachte, wenn sie sich erst einmal ihrer Schönheit bewusst würde, wäre sie eine ganz entzückende Erscheinung.
    »Mrs. Tipton hat mich bereits mehr als einmal vor Exzentrik gewarnt«, fuhr sie fort. »Ich glaube, ich wäre gerne eine Exzentrikerin, dann könnte ich mich genau so verhalten, wie es mir gefällt.«
    »Nein, das wären Sie sicher bald leid«, entgegnete er, »denn Exzentrikerinnen sind schließlich nur zu exzentrischen Bemerkungen in der Lage. Was immer Sie sagen würden, lehnte man ab oder verstünde es falsch.«
    »Wie bei Kassandra.«
    »Genau. Und für jemanden mit IhremTemperament wäre eine solche Rolle sicher unerträglich. Dessen bin ich mir sicher.«
    »Ja, wahrscheinlich. Vielleicht war Mr. Tracey auch eine Kassandra.«
    »Das mag sein.«
    Mary nickte. Sie fühlte sich besser, wenngleich sie keine Antworten auf ihre Fragen zu Mr. Tracey und ihrem Onkel gefunden hatte. Mr. Déprez schien ihr ein sehr vernünftiger Mann zu sein. Sie war froh darüber, ihn nicht provoziert zu haben, was den wahren militärischen Wert der Kavallerie betraf. Zumal er dies sicher nicht goutiert hätte.

12
    Die fatale Kombination von Kopfschmerzen und losen Dachziegeln hatte zur Folge, dass niemand in Lindham Hall Marys Ausflug nach Woodbridge bemerkte. Erstere hatten Mrs.Tipton bis lange nach ihrer üblichen Aufstehzeit ans Bett gefesselt, und Letztere waren der Grund dafür, dass Mr. Cuff als Erster Marys Rückkehr bemerkte. Mit geschürzten Lippen beobachtete er, wie sie aus Mr. Somervilles Kutsche stieg, verkniff sich aber jedweden Kommentar. Und noch bedeutsamer: Er erlag nicht der Versuchung, der Hausherrin oder den anderen Bediensteten darüber Mitteilung zu machen. Vielmehr half er Mary sogar dabei, unbemerkt in ihre Kammer zu gelangen, indem sie die Eingangstür wohlweislich mied. Natürlich sagte es nicht jedermann zu, eine Leiter hinaufzusteigen, doch Mary war nur allzu gern auf diesen Vorschlag eingegangen, und daher sah Cuff seine Entscheidung für Mary und gegen »die ollen Drachen« als durchaus gerechtfertigt an. Bei nüchterner Betrachtung wurde Mary jedoch klar, dass sie nur knapp einer Entdeckung entgangen war und solcherlei Aktivitäten in Zukunft tunlichst unterlassen sollte.
    Den größten Teil des folgenden Tages verbrachte sie im Haus. Der Regen hatte wieder eingesetzt, aber was noch wichtiger war: Mrs.Tipton hatte entschieden, sie sollten an diesem Nachmittag für Besucher »zu Hause« sein.
    Diese Entscheidung stellte Marys Gewissen auf die Probe, schließlich trauerte sie um ihren Onkel, und da ziemte es sich wohl kaum, sämtlichen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzukommen. Andererseits war eine Nichte nicht die allernächste Verwandte, und man konnte die Regeln der Etikette auch gar zu streng auslegen. Einige Damen aus den besseren Kreisen einzuladen, ohne viel Aufhebens darum zu machen, schien ihr daher die richtige Vorgehensweise zu sein. Einerseits konnten die Damen so ihre Neugier befriedigen, andererseits wurde Mary in die feine Gesellschaft der Grafschaft eingeführt, und gleichzeitig hatte so wohl niemand das Gefühl, sie tanze auf Mr. Finchs Grab.
    Dennoch stand Mary nicht ganz hinter dem Vorhaben. Zwar hatte sie nichts gegen das gesellschaftliche Leben in der Grafschaft einzuwenden, das ihrer Meinung nach aus Bällen, Zusammenkünften und eleganten Abendgesellschaften bestand, aber ihr behagte es ganz und gar nicht, von einer Riege kritisch dreinblickender Damen, von denen sie manch eine an Miss Nichols erinnerte, inspiziert zu werden und deren gestelzte Konversation ertragen zu müssen. Oder alle sprachen von Leuten, die Mary nicht kannte. Ein strenger Kritiker, besonders jemand, der sich wenig aus den gehobenen Kreisen der Grafschaft machte, hätte die Unterhaltung wohl als langweilig bezeichnet. Überdies warf Mrs. Tipton ständig einen Kommentar dazwischen oder versuchte Marys Bemerkungen durch Stirnrunzeln oder sprechende Gesten zu beeinflussen - all das und obendrein noch unzählige Tassen Tee

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