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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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gut wie jeden!«
    »Ja, da haben Sie wohl recht.«
    »Aber es wäre doch sehr schäbig von ihm, etwas über mich zu verraten... Wenn ich mich doch nur auf Mrs. Tipton verlassen könnte! Ich sehe ein, dass ich genauer über meine Rückkehr nach Lindham Hall hätte nachdenken müssen.«
    »Das ist die oberste Regel einer guten Strategie«, stimmte Déprez ihr zu. »Brechen Sie niemals auf, bevor Sie nicht wissen, wie Sie zurückkommen.«
    »Schön und gut, aber ich bin bereits aufgebrochen. Was soll ich jetzt machen?«
    »Richten Sie sich nach der zweitwichtigsten Regel«, meinte Déprez und verbeugte sich dabei ein wenig. »Wenn Sie in einer schwierigen Lage sind, rufen Sie die Kavallerie.«
    »Aber ist die Kavallerie denn nicht …«, fing Mary an, doch dann schüttelte sie lächelnd den Kopf.
     
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür«, sagte sie, als Déprez ihr in Mr. Somervilles Kutsche half. »Und Ihre eigenen Geschäfte in Woodbridge können bestimmt warten?«
    »Voll und ganz.« Déprez setzte sich ihr gegenüber, lehnte sich zurück und gab dem Kutscher ein Zeichen, dass er losfahren könne. »Aber ich kann natürlich nicht versprechen, dass wir Lindham Hall erreichen, bevor man Ihre Abwesenheit bemerkt hat.«
    »Nein, aber … es war wohl töricht von mir, aber ich wollte unbedingt unter vier Augen mit Dr. Mallory sprechen. Es scheint niemanden zu geben, der meinen Onkel gut kannte, aber ich dachte, wenigstens sein Leibarzt könnte mir etwas über ihn erzählen.«
    »Und, konnte er? Bitte entschuldigen Sie. Ich möchte nicht neugierig erscheinen.«
    Doch Mary lächelte ihn freundlich an. »Ich bevorzuge wissbegierige Menschen, also nicht etwa Klatschbasen, sondern Leute, die neugierig werden angesichts merkwürdiger Vorkommnisse.«
    »Wie beispielsweise?«
    »Nun, wie die Krankheit meines Onkels, bevor er starb. Er war wohl schon seit geraumer Zeit nicht bei bester Gesundheit, vielleicht war er nie sehr robust, und ich wollte wissen, ob sein Tod als Folge dieser allgemeinen … Schwäche eintrat, oder ob er an etwas anderem starb.« Sie zog bedeutungsvoll eine Augenbraue hoch.
    Déprez sah sie ebenfalls fragend an, aber Mary sank in ihren Sitz zurück und fuhr mit monotoner, unzufrieden klingender Stimme fort: »Dr. Mallory sagte, mein Onkel sei akut erkrankt, bevor er starb, an einer Lungenentzündung. Diese schwächte wohl sein wahrscheinlich bereits angegriffenes Herz.«
    »Verstehe.« Für gewöhnlich fand Déprez die letzten Gebrechen älterer Gentlemen nicht sonderlich interessant. Aus irgendeinem Grund jedoch faszinierte ihn Marys Bericht mehr und mehr. Vielleicht lag es an Marys hochgezogener Augenbraue. »Die Diagnose hat Sie offensichtlich nicht zufriedenstellen können, aber hatten Sie wirklich etwas anderes erwartet?«
    »Was ich erwartet habe, weiß ich nicht«, gab Mary zu, »aber ich kann nicht vergessen, dass Mr.Tracey die Uhr meines Onkels und den Schlüssel zu White Ladies bei sich trug. Mein Onkel war gebrechlich, und er war zu keinem seiner Nachbarn besonders freundlich. Auch seinem Arzt und seinem Advokaten gegenüber nicht. Und trotz allem gab er Mr. Tracey ein Familienerbstück und einen Schlüssel zu seinem Haus. Das erscheint mir so merkwürdig, aber niemand sonst scheint sich hierüber irgendwelche Gedanken gemacht zu haben. Ich kann nicht umhin, dies mit den Schmugglern auf White Ladies in Verbindung zu bringen. Möglicherweise gehörte Mr. Tracey zu dieser Bande, oder er versuchte ihre Pläne zu durchkreuzen. Vielleicht war das seine Warnung an mich, aber ich verstand sie nicht wegen des Kräuterelixiers.«
    »Dr. Mallory wusste nichts von Tracey, oder?«
    »Nein«, sagte Mary und lächelte reuevoll. »Und er zeigte auch nicht das geringste Interesse an derVerfassung meines Onkels: wie es zum Tod kommen konnte oder wie er sich die Lungenentzündung zugezogen hat. Für ihn war das einzig Kuriose bei dem Ganzen, dass ich zu ihm kam, um ihn auszufragen!«
    An einer Biegung verlangsamte sich ihre Fahrt, und dann mussten die Gäule leicht angetrieben werden, damit derWagen nicht in eine tiefe, morastige Furche rutschte. Déprez beobachtete ihr Fortkommen aus dem Fenster, und als sie wieder freie Fahrt hatten, ließ er die Gardine zurückfallen und wandte sich erneut Mary zu. »Vielleicht dachte der gute Mann, dass die Wahrheit meist eher langweilig ist und, ganz gleich, ob kurios oder nicht, Ihren Onkel auch nicht wieder lebendig macht. Deshalb würde sie Ihnen keinenTrost bringen,

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