Miss Monster
wieder zu dem Toten zurück.
Er lag da, als würde er schlafen. Nur die zerbissene Kehle machte aus diesem Bild einen Alptraum.
Liegenlassen konnte Wiebke die Leiche nicht. Man würde den Lehrer vermissen und natürlich zunächst am Sumpf nachschauen. Es war besser, wenn er für eine Weile verschwand, und da bot sich der See nahezu an.
Sie machte sich noch nicht sofort an die Arbeit. Erst genoß sie ihre Freiheit, lachte, jubelte, schaute gegen den Mond und auch gegen die See, in dessen Tiefe das Böse lauerte. Dann erst wuchtete sie den Toten über den Zaun und schleifte ihn auf das Ufer zu. Sie hielt ihn an den Füßen umfaßt, ohne überhaupt Ehrfurcht vor dem Tod zu haben. Was schon lange in ihr geschlummert hatte, war jetzt voll zum Ausbruch gekommen.
Sie war endlich diejenige, die sie schon immer hatte sein wollen. Sie war Miss Monster, und sie hatte es auch bewiesen. Es war nur der erste Schritt gewesen, weitere würden folgen, und sie würden sie immer näher an ihr Ziel heranbringen.
Der sperrige Schilfgürtel setzte ihr schon Widerstand entgegen. Sie schimpfte, sie brach sich gewaltsam Bahn, und nur widerwillig taten sich Lücken auf, in die sie den schweren Körper hineinschieben konnte. Sie watete durch den dichten Bewuchs. Ihre Füße platschten längst durch das Wasser. Der Boden unter ihr war weich und nachgiebig. Sie drückte den Toten tiefer in den weichen Schlamm und schob den leblosen Körper dann so gegen das Schilf, daß er zwischen den Stäben in einer Lücke festklemmte.
Nun erst war sie zufrieden.
Gemächlich verließ sie das Wasser, kletterte geschickt über den Zaun und fühlte sich noch immer gut.
Wiebke schaute nicht zurück. Sie brauchte dieses Symbol nicht mehr, da sie sich für ein anderes entschieden hatte.
Sie richtete den Blick nach vorn.
Dort stand die Schule.
Der mächtige Klotz, der selbst bei Tageslicht Unbehagen und Beklemmung produzierte.
Alle Schüler dachten so. Es gab keine Ausnahmen, auch nicht bei denjenigen, die mit den Leuten, die sich Lehrer nannten, gut zurechtkamen. Das war keine Erziehung fürs Leben. Man verbreitete hier Angst und einen auf Gewalt basierenden Respekt. Aber nicht mehr bei ihr, nicht mehr bei Miss Monster!
***
Eigentlich hätte es im Zimmer dunkel sein müssen. Das aber war es nicht, denn der Mond stand als bleiche Scheibe am Himmel und sandte ein fahles Licht in den Raum.
Darin befanden sich zwei Personen.
Eine davon schlief, die andere war wach.
Der Schläfer hieß Barry F. Bracht, war Lektor in einem großen Verlag, ein netter Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, den aber ein Geheimnis umgab, das auf der Welt einmalig war.
Der zweite Mann war ich!
Barry F. Bracht hatte mich geholt, damit ich in dieser Nacht bei ihm blieb. Einen direkten Grund hatte er mir nicht nennen können, er hatte nur davon gesprochen, daß etwas passieren könnte und daß er mich dann in der Nähe haben wollte.
Ich wußte um sein Geheimnis. Wir hatten zusammen den mächtigen Knochenmond bekämpft und damals einen unheimlichen Fall erlebt. [1]
Ob etwas Ahnliches passieren würde, konnte ich nicht sagen. Schaute ich aber aus dem Fenster, waren die Gegebenheiten schon zu erkennen, denn wieder stand der volle Mond am Himmel.
Das Fenster war weder verschlossen noch verhängt. Barry F. Bracht hatte es so gewollt. Wenn ihn das Schicksal traf, dann mit der vollen Härte.
Zum Glück war es ihm gelungen, mit seinem zweiten Dasein zu leben, mit seinen Träumen, in denen er ein anderer wurde. Da entwickelte sich aus dem fast schüchtern wirkenden Mann eine Gestalt, wie sie fast unerklärlich und unbegreifbar war.
Da wurde er zu Zebuion, dem Schattenkrieger!
Und seltsamerweise nicht nur im Traum, denn dieses Wesen blieb nicht allein feinstofflich.
Durch fremde Kräfte gelang es ihm, sogar Gestalt anzunehmen. Zebuion existierte dann echt, er war zum Greifen, zum Anfassen, und das hatte ich am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Ich sollte nur warten.
Kein angenehmer Job, eine langweilige Arbeit, denn auch ich gehöre zu den Menschen, die in der Nacht lieber schlafen, als an einem fremden Bett zu hocken und den Schlaf eines anderen Menschen zu überwachen. Deshalb fiel es mir einfach schwer, die Augen offenzuhalten, und ich versuchte es mit einigen Tricks, um mich wachzuhalten.
Dazu gehörte die Riesenportion Kaffee.
In der kleinen Küche hatte ich sie mir gekocht, die braune Brühe, danach in eine Thermoskanne gefüllt und sie mit in Brachts
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