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Miss Pettigrews grosser Tag

Titel: Miss Pettigrews grosser Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Winifred Watson
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braucht. Wir fangen besser gleich damit an. Sie kommen mit und sagen mir, welches Kleid ich anziehen soll.«
    Miss Pettigrew folgte ihr ins Schlafzimmer. Das Wörtchen »wir« klang in ihr nach. Aber damit konnte unmöglich sie selbst gemeint sein. Gewiss würde jemand anderer vorbeikommen und Miss LaFosse abholen. Doch bis er sich einfand (sicherlich handelte es sich um einen »er«), gedachte sie jede kostbare Minute auszukosten, die ihr mit ihrer Gastgeberin noch blieb.
    »Zuerst ein Bad«, sagte Miss LaFosse. »Ich habe heute noch gar keins genommen. Das ist ein wahrer Segen hier, das Wasser ist immer heiß. In meiner letzten Wohnung war darauf kein Verlass, und ich nehme nun einmal gern ein schönes heißes Bad, wann immer mir danach ist. Ich mache den Anfang, dann genehmigen Sie sich auch eins, und wir suchen ein Kleid für Sie aus. Drehen Sie ruhig schon das Wasser auf, ich sehe derweil nach, was sich an Kleidern finden lässt.«
    Wie betäubt ging Miss Pettigrew ins Bad, drehte das Wasser auf und legte Seife und Handtücher zurecht. Sie hatte wohl nicht recht gehört. Ihre Ohren spielten ihr einen Streich. Und selbst wenn sie recht gehört hatte, zog sie die falsche Folgerung daraus. Sie starrte auf den Wasserstrahl, der sich in die Wanne ergoss. Sie fühlte sich trunken. Trunken vor Aufregung und Erwartung und Freude. Trunken von einem Hochgefühl, wie sie es niemals zuvor gekannt hatte. Miss LaFosse war »kein guter Umgang«. Miss Pettigrew kümmerte es nicht. Soweit sie wusste, hatte Miss LaFosse zwei Liebhaber, und wer weiß wie viele noch? Miss Pettigrew kümmerte es nicht. Miss LaFosse hielt irgendwo ein Kind versteckt und brauchte eine Gouvernante. Miss Pettigrew kümmerte es nicht.

    »Es kümmert mich nicht«, dachte Miss Pettigrew kühn, »und wenn es zwei Kinder sind.«
    Sie ging zurück ins Schlafzimmer.
    »Ihr Bad ist bereit.«
    Miss LaFosse entschwand. Miss Pettigrew ließ den Blick durch den Raum schweifen, der sich in heilloser Unordnung befand. Mit Spinnweben überzogene Strümpfe verteilten sich auf dem Boden. Unterwäsche mit überreichlich viel Seide und Spitze quoll aus Schubladen und hing über Stuhllehnen. Kleider lagen achtlos hingeworfen auf dem Bett.
    Miss Pettigrew schüttelte den Kopf.
    »Ts, ts«, dachte die gestrige Miss Pettigrew. »Was für ein unordentliches kleines Ding. Äußerst schlampig. Keine Disziplin. Keine Achtsamkeit. Schlecht erzogen. Kein Zustand für das Schlafzimmer einer Dame.«
    Die gestrige Miss Pettigrew knickte ein.
    »Welch himmlisches Durcheinander!«, schwelgte Miss Pettigrew in Gedanken. »Wie wundervoll ungezwungen! Wie herrlich entspannt! Kein Musterbeispiel geben zu müssen. Nicht auf das Niveau zu achten. Keine damenhafte Ordnung.«
    Und selbst wenn jemand als Gouvernante für Miss LaFosse arbeitete, würde Letztere sicherlich niemals mit Argusaugen das Schlafgemach ihrer Untergebenen mustern und ein Urteil darüber fällen. Allein zu wissen, dass es solch freundliche Menschen wie Miss LaFosse auf der Welt gab, erfüllte Miss Pettigrew mit überschäumender Freude. Sie stand mitten im Zimmer und strahlte selig vor sich hin, bis Miss LaFosse aus dem Bad kam.
    Sie trug lediglich einen pfirsichfarbenen seidenen Morgenmantel. Bei einer achtlosen Bewegung teilte er sich, und Miss Pettigrew erhaschte einen Blick auf wohlgeformte
Gliedmaßen und makellose, blasse Haut. Die Wärme hatte Miss LaFosses Gesicht rosig überhaucht, der Dampf ihr Haar zu winzigen Locken gebauscht, die ihr Gesicht umrankten. Miss Pettigrew betrachtete sie mit scheuer Bewunderung.
    »Sie sind wunderhübsch.«
    Miss LaFosse lächelte. »Wie nett, dass Sie das sagen.«
    Sie streifte den Morgenmantel unbekümmert ab und begab sich auf die Suche nach einem weiteren Kleidungsstück. Miss Pettigrew schnappte nach Luft, blinzelte, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Miss LaFosse spazierte unbefangen durch das Zimmer. Der Gedanke, zarte Schamgefühle zu verletzen, kam ihr offensichtlich nicht in den Sinn.
    Miss Pettigrew, erhitzt und verwirrt, rief sich zur Ordnung.
    »Ich bin es doch«, dachte sie streng, »die sich Böses dabei denkt. Was ist Unrechtes am menschlichen Körper? Nichts. Hat der HERR ihn nicht ebenso geschaffen wie unsere Gesichter? Gewiss doch. Würde ER etwas schaffen, das ER für unrecht hielte? Nein. Sind es nicht lediglich die Widrigkeiten unseres Klimas, die Bekleidung erforderlich machen? Natürlich. Es liegt nur an unserem Denken. Meines ist albern und

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