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Miss Pettigrews grosser Tag

Titel: Miss Pettigrews grosser Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Winifred Watson
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Pettigrew starrte sie mit offenem Mund an.
    »Ich meine«, berichtigte Miss LaFosse sich, »es gab natürlich eine Frau, die mich in die Welt gesetzt hat. Aber ich habe sie mir nicht ausgesucht. Und ich vermisse sie nicht.«
    »Ihre Mutter!« Miss Pettigrew schnappte schockiert nach Luft.
    »Sie war nicht besonders nett«, sagte Miss LaFosse schlicht. »Eigentlich war sie eine äußerst unangenehme Person. Die Sorte, wissen Sie, bei der einem Schauer über den Rücken laufen, wenn man an sie denkt. Nicht gut für Kinder, ganz und gar nicht. Ein sehr, sehr schlechter Einfluss. Wenn ich Sie da so sitzen sehe – Sie sind genau die Sorte, die ich mir ausgesucht hätte, wenn ich die Wahl gehabt hätte. Nicht etwa«, sagte sie ernst, »dass Sie alt genug wären, um meine Mutter zu sein. Das weiß ich. Aber so empfinde ich es. Sie wecken Vertrauen und Zuneigung. Ich bin froh, dass ich Ihnen begegnet bin.«
    »Oh, meine Liebe!«, rief Miss Pettigrew mit bebender Stimme. »Mehr an Freundlichkeit verkrafte ich nicht. Nein. Unmöglich. Das bin ich nicht gewöhnt.«
    Miss Pettigrews Augen wurden feucht.
    »Wenn Sie nur wüssten …«, stammelte sie.
    Rat-tat-tat. Peng-peng-peng. Bumm-bumm-bumm. Jemand schlug mit der Faust an die Tür.
    »Also«, sagte Miss LaFosse verärgert. »Wer kann das sein? Als ob die Leute nicht anständig klingeln könnten. Ich muss wohl hingehen.«
    Doch Miss Pettigrew war schon auf dem Sprung. Ihre
Tränen waren wie von Zauberhand getrocknet. Sie war elektrisiert, bebte wie ein Hund, der Witterung genommen hat. Dieses Klopfen kündigte keinen gewöhnlichen Besucher an. Vergessen war ihr Geständnis.
    Wieselflink, mit leuchtenden Augen, strahlender Miene, gespannt wie ein Flitzebogen war Miss Pettigrew bei der Tür und riss sie auf.

ZEHNTES KAPITEL
    19:25-20:28
     
     
    H a!«, donnerte eine männliche Stimme. »Erzählen Sie mir ja nicht, sie wäre nicht da, das nehme ich Ihnen nämlich nicht ab.«
    »Treten Sie ein«, sagte Miss Pettigrew überschwänglich.
    Der Besucher schritt ins Wohnzimmer: ein hochgewachsener Mann im Abendanzug. Schwarzer, nicht ordentlich zugeknöpfter Mantel. Schief sitzender Zylinder. Weißer, lose herabhängender Schal. Prächtiger Körperbau, markantes Gesicht, kampflustiges Kinn, durchdringender Blick, stürmisches Gehabe. Ein Herkules von einem Mann. Ein Clark Gable von einem Mann.
    Er riss sich Hut und Schal herunter, warf seine Handschuhe zu Boden und ließ, ganz der klassische starke Held, allerdings redseliger als dieser, einen furchterregenden, stechenden, lähmenden Blick durch den Raum schweifen und heftete ihn schließlich auf Miss LaFosse.
    »So, du kleiner Teufel«, sagte er erbost, »hab ich dich endlich am Wickel, wie?«
    »Oje!«, sagte Miss LaFosse.
    Sie brachte es nicht einmal fertig, sich zur Begrüßung zu erheben, sondern blieb wie angenagelt auf ihrem Stuhl sitzen, aus purer Angst, aus Entsetzen, Bestürzung oder einer anderen starken Gefühlsaufwallung heraus, so Miss Pettigrews Diagnose. Starke Gefühlsaufwallungen jedoch
waren augenblicklich Miss Pettigrews Lebenselixier. Sie schwelgte förmlich darin. Schon schickte sie sich an, schützend zwischen Miss LaFosse und dem eben eingetroffenen Besucher Stellung zu beziehen, doch dieser fegte an ihr vorbei, als sei sie nicht vorhanden, und baute sich vor Miss LaFosse auf.
    »Also! Was hast du zu deiner Entschuldigung zu sagen?«
    »Nichts«, sagte Miss LaFosse mit zitternder Stimme. »Gar nichts.«
    »Freut mich, dass du nicht um den heißen Brei herumredest«, sagte er barsch. »Ich hätte nicht mal eine Gallenkolik akzeptiert.«
    »Ich habe nie Gallenkoliken«, sagte Miss LaFosse ungnädig. »Ich stopfe mich grundsätzlich nicht voll. Ich muss schließlich an meine Figur denken.«
    »Steh auf.«
    Miss LaFosse gehorchte, mit dem Schimmer eines erleichterten Lächelns im Blick, doch zu ihrem und Miss Pettigrews vollständigem Entsetzen packte der erzürnte junge Mann sie bei den Schultern und schüttelte sie heftig durch.
    Mit einem empörten Aufschrei setzte Miss Pettigrew sich in Bewegung; doch dann blieb sie stehen, ohne recht zu wissen, warum. Da malträtierte ein fremder junger Mann ihre Freundin, und sie stand bloß da wie Lots Weib und unternahm nichts. Wollte nichts unternehmen. Miss Pettigrew war über sich selbst entsetzt. Aber mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dass dieser prächtige junge Mann durchaus wusste, was er tat, dass er Miss LaFosse niemals ernsthaft wehtun würde und Miss LaFosse

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