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Miss Seeton kanns nicht lassen

Miss Seeton kanns nicht lassen

Titel: Miss Seeton kanns nicht lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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merkwürdig beharrlich bei ihrer Ablehnung geblieben. Er hatte sie gebeten – erst freundlich und dann dringlicher; und erst am Schluß, als ihm klar wurde, daß sie gegen den Besuch im Leichenschauhaus gar nichts einzuwenden hatte, daß sie aber merkwürdigerweise um alles in der Welt keine Zeichnung machen wollte: da hatte er dann gröberes Geschütz auffahren müssen, bis sie endlich nachgab. Und vielleicht hatte sie ganz recht gehabt, wenn man jetzt das Resultat ansah. Er hätte sie in Ruhe lassen sollen.
    Zeitverschwendung, Chief Superintendent Gosslin rutschte auf seinem Stuhl hin und her und suchte nach einer Ausrede, um in sein Büro zurückzukommen und weiterarbeiten zu können. Das Orakel war diesmal reingefallen. Wenn das hier Kunst war, dann zog er für seinen Teil Fotos vor. Es sah aus, als habe sie ganz richtig angefangen, dann aber keine Lust mehr gehabt und – als sie erkannte, daß es nichts werden würde – einfach alles ausgestrichen und ein paar geometrische Figuren hingeworfen.
    Der Assistant Commissioner ergriff die Teekanne und besah sich die Skizze noch einmal. Die linke Gesichtshälfte war gar nicht schlecht, zwar etwas verwischt, doch vermutlich noch einigermaßen ähnlich; aber die rechte Seite war unmöglich – verschmiert, unfertig und irgendwie abstoßend. Und was sollten die quergezogenen Schlangenlinien bedeuten, die dann plötzlich aussetzten und zwei ineinandergreifenden Halbkreisen Platz machten? Völlig sinnlos. Und doch, wenn man wieder hinsah: irgend etwas war an der Skizze. Sie verfolgte einen geradezu. Man konnte sie nicht einfach wegschieben und auch nicht vergessen. Sir Hubert riß sich zusammen und besann sich auf seine Gastgeberpflichten. Er schenkte Miss Seeton noch eine Tasse Tee ein und fragte:
    »Bitte sagen Sie mir doch, Miss Seeton: Diese Zeichnungen, die Sie da machen, oder vielleicht sollte ich lieber sagen: diese Karikaturen, von denen mir der Superintendent erzählt hat: haben Sie die schon immer gemacht? Oder sind Sie erst kürzlich drauf gekommen?«
    Wie peinlich. Wenn er das bloß nicht gefragt hätte. Sie trank einen Schluck Tee. Sehr stark, aber Gott sei Dank kein Zucker drin. Sie konnte das einfach nicht alles… Sie hatte ja gewußt, es war unklug, gerade jetzt etwas zeichnen zu wollen. Aber der Superintendent…. gewöhnlich war er doch so freundlich, so verständnisvoll…. der hatte sie in diesem Fall einfach überredet…. nein, er hatte sogar darauf bestanden. Aber es war auch falsch von ihr gewesen, nachzugeben, denn nun war es noch schlimmer geworden. Schrecklich unangenehm. Für alle. Aber es hatte jetzt keinen Zweck mehr, sich darüber zu ärgern, jetzt war nichts mehr zu machen. Jedenfalls war sie für morgen früh bei Dr. Knight angemeldet; danach würde sie dann wissen, was los war. Aber diese Frage von Sir Hubert war wirklich schwer zu beantworten. Wahrheitsgemäß jedenfalls. Und bei der Polizei kam es natürlich immer sehr darauf an, daß man präzise Angaben machte.
    »Ich habe immer eine Neigung dafür gehabt«, bekannte sie. »Aber gemacht habe ich sie nur selten, und zufrieden war ich nie. Sehen Sie, ich habe immer meinen Schülern beizubringen versucht, daß man nur das zeichnen solle, was man sieht, oder jedenfalls annähernd. Phantasiearbeiten sollten nur den Könnern vorbehalten sein, und natürlich den besonders Begabten. Für diese beiden Gruppen gelten natürlich die Regeln nicht. Und seit ich in mir selbst diese Tendenz zur Zügellosigkeit feststellte, habe ich immer versucht, sie zu unterdrücken. Leider ist sie aber eher noch schlimmer geworden, seit ich öfter auf dem Kopfstehe.«
    Gosslin gab einen heiser bellenden Laut von sich, den er eilends in Husten umwandelte, als er merkte, daß er fehl am Platze war. Etwas zu spät stellte er seine Tasse auf Sir Huberts Schreibtisch.
    Sergeant Ranger war so weit wie möglich in den Hintergrund gerückt; sein Stuhl stand hart an der Wand, er balancierte Notizbuch und Bleistift auf den Knien und in der einen Hand die Teetasse, in der andern einen kleinen Teller mit einem gebutterten Rosinenbrötchen. Bitter stellte er fest, daß auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung kein Verlaß war. Wenn so ein Brötchen runterfiel, so fiel es immer und ausnahmslos auf die Butterseite. Er hob das leicht angestaubte Brötchen vom Boden auf und schob dann den Teller unter seinen Stuhl. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber wenigstens hatte er sich nicht den Tee über die Hosen gegossen, wie der Alte da vor

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