Miss Seeton kanns nicht lassen
sprach:
»O König Salomon, die Königin von Saba bittet Euch, ihre kleinen Gaben huldvollst entgegenzunehmen.«
Szenenwechsel. Eine Reihe von Kamelen erschien, dazu mehrere farbige Gentlemen mit Lendentüchern, die große Holzkisten und Flechtkörbe abluden und sie etwas mühsam den Weg hinauf zu einem prächtigen Palast schleppten. Befriedigt nickte Miss Seeton. Alles ganz, wie es sich gehörte. Die lange Reihe der Kamele hatte kostbare Geschenke gebracht. Sie setzte sich bequem im Sessel zurecht. Es war herrlich warm hier im Kino, und ihr Mund schien wieder ganz in Ordnung zu sein. Dr. Geldson hatte recht gehabt. Sie fühlte sich sehr wohl. Auf der Leinwand machte jetzt der Farbige mit dem Gepäck einen Bogen um den Haupteingang zum Palast und verschwand in einer schmalen Seitentür. Komisch. Was das wohl war? Vielleicht eine Art Lieferanteneingang. Nun trat wieder die hellblonde junge Dame auf, diesmal viel näher. Wieso blond? Die Königin von Saba – das, wenn sie sich recht erinnerte, im südlichen Arabien, nahe am Persischen Golf, lag – hätte eigentlich dunkelhäutig sein müssen. Oder mindestens dunkelhaarig. Aber schließlich stellten sich auch viele Leute Kleopatra als dunkle Ägypterin vor, wo doch die Ptolemäer fast reinrassige Griechen gewesen waren. Vielleicht war das hier ähnlich. Auch die Pfauenfedern waren eigentlich merkwürdig. Sie kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Die Schwanzfedern eines Pfauen waren ein männliches Attribut; und da die Menschen in Saba Anbeter von Sonne, Mond und Sternen waren, wären astronomische Embleme auf der Stickerei eher am Platze gewesen. Sie nahm sich vor, in der Bibliothek in Brettenden ein Lexikon auszuleihen und das nachzulesen. Die hellblonde junge Dame hob den Arm und lächelte, und Miss Seeton lächelte freundlich zurück. Wirklich angenehm, gerade jetzt jemanden zu sehen, dessen Zähne offenbar alle in Ordnung waren. Dafür klang ihre Aussprache etwas nasal, als sie jetzt sagte:
»Heil, Salomon – viel ist mir von deiner Weisheit berichtet worden. Sie sei die allergrößte, heißt es, und so bin ich gekommen, sie auf die Probe zu stellen.«
Die majestätische Gestalt des Königs erhob sich von ihrem Sitz. Miss Seeton versank in ihrem Sessel. Das Gesicht des Königs schwamm nach vorn, wuchs und beherrschte die Leinwand. Miss Seeton blinzelte, doch das Gesicht blieb undeutlich, ein wenig verschwommen. Die tiefverschatteten Augen fieberten. Der sinnliche Mund lockte.
»Deine Weisheit schlummert nur«, erklärte König Salomon. »Komm, ich will dich erwecken.«
Miss Seeton überhörte den Ruf. Sie war eingeschlafen.
Wo war Miss S.? Na also, was sollte denn das… Mel Forby spähte durch ein Fenster des Häuschens in das verwüstete Wohnzimmer. Sie probierte die Haustür. Verschlossen. Durch das Fenster auf der andern Seite blickte sie in das kleine gegenüberliegende Zimmer, wo es ebenso aussah. Sie fuhr herum und lief in den George and Dragon zurück.
Wo war Miss Seeton? Was, zum Teufel…? In der Tür zu Miss Seetons Wohnzimmer stand Bob Ranger und besah sich das Chaos. Gerade war er von seiner Runde zurückgekehrt, wo er allerhand Fragen gestellt hatte, als diese Reporterin mit ihrer Meldung ins Gasthaus gestürzt kam. Schleunigst war er dann, gefolgt von Mel, zu Miss Seetons Häuschen gekommen; die Hintertür war verschlossen, aber das Fenster daneben war offen und die Scheibe zerbrochen. Für ihn war es zu klein, er hatte Mel Forby hindurchgehoben; sie war behutsam, um nichts zu berühren, durch die verwüstete Küche gestelzt und dann in den Flur, hatte sich um die schwere Eisentür herum bis zu dem Schrank unter der Treppe gezwängt, dessen Inhalt – Mäntel, Koffer, Bürsten und Besen, Putzmaterial und Staubsauger – rings auf dem Fußboden verstreut war; dann hatte sie die Riegel von der unverschlossenen Haustür zurückgeschoben und ihn eingelassen. Jetzt stand er drinnen, und kalter Zorn begann in ihm aufzusteigen. Ganz für sich hatte er ja manchmal gedacht, Miss S. – naja, ein bißchen spinnert war sie schon, und er wußte auch nicht recht, was er von ihr halten sollte. Aber das gab keinem Menschen das Recht, sie zu kritisieren, und schon gar nicht, ihr so etwas wie dies hier anzutun. Er lief nach oben. Dort sah es ebenso aus: offene Schränke, herausgerissene Schubladen, der Inhalt überall auf dem Boden, Decken beiseite geworfen, Teppiche zurückgeschlagen, Kissen aufgeschlitzt. Er ging nach unten ins Wohnzimmer und nahm
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