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Miss Seeton kanns nicht lassen

Miss Seeton kanns nicht lassen

Titel: Miss Seeton kanns nicht lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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nicht lange sehen lassen, das war zu riskant. Immerhin: Dieses Risiko mußte er auf sich nehmen. Den einzigen wirklich üblen Moment hatte er hinter sich: als er unbemerkt in das leere Haus in Brettenden schlüpfte, um sich dort gründlich zu verwandeln und dann den Rover zu holen. Das war gelungen: Kein Mensch hatte ihn gesehen.
    Er fuhr auf direktem Weg von Ashford in Richtung auf die Hauptstraße. Etwa zwei Meilen vor der Hauptstraße bog er in eine Nebenstraße ein und von dort aus wieder in einen engen Weg, der an einem alten Steinbruch vorüberführte. Rechts oben auf der Anhöhe kam man über einen grasbewachsenen Abhang direkt an den Rand des Steinbruchs. Links sah man Büsche und Unterholz und dahinter Gestrüpp. Vorsichtig fuhr er den Wagen hinter die Büsche und nahm sich in acht, damit er keine Kratzer von den Brombeerranken davontrug. Dort wartete sein alter Wagen mit gut verschmutzten Nummernschildern. Er untersuchte sie mit Hilfe einer Taschenlampe und stellte fest, daß sie auch in geringer Entfernung unlesbar waren, ohne geradezu absichtlich verschmiert auszusehen. Er stieg ein, nahm die Armbanduhr ab, die seine Initialen trug, und legte sie auf den Nebensitz; dann nahm er eine Mappe mit seinem alten Führerschein und der Versicherungskarte und zwängte sie in den hinteren Polstersitz. Auf Seitenstraßen fuhr er dann nach Norden, kreuzte die Hauptstraße und fuhr langsam zurück in Richtung Maidstone. Ursprünglich hatte er sich für dieses Vorhaben zwei oder drei Nächte Zeit lassen wollen, um reichlich Auswahl zu haben; aber jetzt hatte ihm die alte Hexe in der Bank die Pistole auf die Brust gesetzt, sozusagen; er mußte es riskieren und konnte nur hoffen, daß alles gutging.
    Ein Anhalter am Straßenrand hob den Daumen. Er verlangsamte die Fahrt bis zum Kriechen und sah sich den Jungen an: ein Kind mit schwerem Rucksack auf dem Rücken. Er fuhr wieder an. Nach wenigen Minuten winkte ein zweiter Daumen. Anhalter gab es immer reichlich, darauf war Verlaß. Wieder verlangsamte er die Fahrt. Der da sah besser aus. Er hielt an, lehnte sich über den Sitz und öffnete die Tür.
    »Dover?« fragte der Anhalter; er beugte sich herunter und zeigte sein Gesicht im Licht der Innenlampe. Aha: ungefähr dreißig, ein Paket in der Hand. Der war richtig.
    »Ja«, sagte der Bankkassierer. »Ich muß bloß noch einen kleinen Umweg machen – hab’ unterwegs noch was zu besorgen. Dauert aber nicht lange. Steigen Sie nur ein.« Er nahm seine Uhr vom Nebensitz, als der andere jetzt einstieg. »Würden Sie dies wohl mal halten? Oder noch besser: Würden Sie sie umbinden? Ich hab’ eine Stelle am Handgelenk, da scheuert das Armband, und ich möchte nicht, daß sie zwischen die Sitze fällt.«
    Erstaunt blickte der Ankömmling auf, zuckte dann die Achseln, sagte »in Ordnung« und schob sich die Uhr über das Handgelenk.
    Der Fahrer ließ den Wagen wieder an. Er fuhr an Maidstone vorbei, dann weiter auf der Hauptstraße, bis er nach links abbog und zwei Meilen weiter auf der Landstraße ankam, von der der schmale Weg abging. Er fuhr hinein, bot seinem Mitfahrer eine Zigarette an, nahm selbst eine und zündete beide an. Der Wagen kletterte steil in die Höhe. Jetzt schwenkte er ihn nach links ins Unterholz, riß das Steuerrad herum und beschrieb mit dem Wagen einen Halbkreis, nachdem er die Scheinwerfer ausgeschaltet hatte. Er hielt an, der Wagen stand im Leerlauf, die Bremse war nicht angezogen, und der Motor lief.
    »Moment – ich komm’ sofort zurück.« Er ließ die brennende Zigarette auf den Wagenboden fallen, sprang hinaus und lief nach hinten zum Heck des Wagens.
    Der Mitfahrer wandte sich um. »He, Sie – Sie haben ja…« Er merkte, daß der Wagen vorwärts rollte, und griff angstvoll nach dem Türgriff. »He – ich kann ja nicht…«
    Die letzten Worte verhallten ungehört. Der Wagen rollte über den Abhang und überschlug sich einmal in der Luft.
    Die Zeit blieb stehen – endlos lange. Dann kam von unten der Knall, ein tierischer Schrei, metallenes Scheppern und Klirren von Glas. Schweigen. Ganz leise folgte Gewinsel. Ersticktes Wimmern. Und wieder Schweigen.
    Der Kassierer blickte hinunter, aufmerksam und wartend. Es mußte gelingen – es mußte einfach. Bei jedem Wagen, der von einer Höhe herunterfiel, war Feuer die eine große Gefahr. Und mit laufendem Motor und dem Ersatzbenzinkanister mit losgeschraubtem Deckel im Heck, und dann noch zwei brennende Zigaretten: da konnte nichts schiefgehen. Es

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