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Miss Seeton kanns nicht lassen

Miss Seeton kanns nicht lassen

Titel: Miss Seeton kanns nicht lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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gegenüber in den Sessel fallen. Seine Tasche mit dem aus der Bank entwendeten Geld lag auf dem Fußboden neben der Abendzeitung. Noch stand nichts von ihm darin. Er hob den Kopf und blickte sich verwundert in ihrer Wohnung um. Er sah die teure Einrichtung, die kostbaren Möbelstücke, die er fast alle selbst gekauft hatte. Gekauft für die Zukunft – für die gemeinsame Zukunft.
    Sie folgte ihm mit kalten Augen. »Nicht wahr – du hast dich für so schlau gehalten.« Die nachdenkliche, fast sanfte Stimme wurde scharf. »Schlau –? Die Polizei hat dich wahrscheinlich schon monatelang beobachtet. Warum schicken sie dir sonst die alte Hexe in die Bank, um dir Angst einzujagen. Du dachtest, sie hätte sich verraten. Daß ich nicht lache! Was meinst du, wozu die hingekommen ist? Die sind ja nicht blöd – sie haben gewartet, bis du dich aus dem Staub machst, und so weit ist es jetzt. Du wolltest in der Versenkung verschwinden und als ein anderer wiederauftauchen. Fabelhaft.« Hohn klang aus ihrer Stimme. »Du mit deinen getönten Haftschalen, deinem gefärbten Haar und allem andern. Na schön«, schloß sie entschieden, »ich verschwinde jetzt ebenfalls in der Versenkung. Hier trennen sich unsere Wege.«
    Der Kassierer blieb stumm. Hier trennten sich die Wege? Dies also war Maryse. Noch immer betäubt saß er da und begriff nicht, wartete, bis das Begreifen langsam kam. So liebevoll war sie immer gewesen, sanft und zärtlich, eine fröhliche Gefährtin. Schmuck hatte er ihr geschenkt, als Sicherheit, als Anfangskapital für ihr neues Leben – ihr gemeinsames Leben. Alles gut und schön, solange Geld und Sicherheit da waren – jedenfalls Sicherheit für sie. Und jetzt, da der kritische Augenblick gekommen war, der Moment zum Umsteigen, der Tag, an dem er sein altes Ich abwerfen und begraben wollte – oder vielmehr, wörtlich, begraben lassen wollte; jetzt, da ernste Gefahr vor der Tür stand, jetzt wollte sie >verschwinden<. Dabei konnte von wirklicher Gefahr gar keine Rede sein; dazu war der Plan viel zu einfach, zu langfristig erwogen und zu sorgfältig vorbedacht.
    Die Unterschlagungen in der Bank waren kinderleicht gewesen. Alles, was man dazu nötig hatte, waren Sachkenntnis – und Kaltblütigkeit. Das besaß er beides, und außerdem, was noch wichtiger war: er hatte Verstand. Bei kleineren Unterschleifen, da wurde aufgepaßt, die wurden schnell genug festgestellt. Aber bei größeren Summen – wenn einer nur lange genug im Haus war und Vertrauen genoß… Nun, er hatte sich angestrengt: Drei Jahre hintereinander hatten die Buchprüfer nichts gemerkt. Grund genug, zufrieden zu sein: Er hatte ein Haus gekauft und bezahlt, ferner Maryses Schmuck, die Einrichtung und den Rover, dazu mehr als fünfunddreißigtausend Pfund in bar und in Papieren, die ein Mann mit seinen Fähigkeiten in wenigen Jahren verdoppeln konnte. Und hatte man erst mal richtiges Kapital, dann kam der Rest von selber.
    Der >einfache Plan< sah so aus: Er wollte in Brettenden ein neues Leben als nicht unbemittelter Mann anfangen. Sein altes Ich sollte dadurch aus der Welt geschafft werden, indem man die verkohlten Überreste in dem ausgebrannten Wrack seines alten Wagens entdeckte; wenn dann der Leichnam des betrügerischen Bankangestellten identifiziert und die Suche eingestellt war, wollte er sich in Brettenden mit einem neuen Namen, seinem neuen Haus, einem Wagen – und mit Maryse niederlassen.
    Das einzige, was an ihm auffiel, war das merkwürdig helle Blau seiner Augen. Vor drei Jahren war er im Urlaub nach München geflogen und hatte sich dort getönte Haftschalen anfertigen lassen, an die er sich durch immer längeres Tragen bei Nacht so gewöhnte, daß sie ihm schließlich keinerlei Beschwerden mehr machten. Die tiefdunklen, fast schwärzen Augen bewirkten eine völlige Veränderung seines Aussehens. Als auch das wellig-blonde Haar mit einer Farbwäsche glattgesträhnt und dunkelgefärbt war und er sich noch ein bleistiftdünnes Bärtchen angeheftet hatte, war er ganz unkenntlich geworden. Das hatte er nach einem Jahr Training bewiesen, als er im darauffolgenden Sommerurlaub in seiner Bankfiliale erschien und dort unter seinem neugewählten Namen ein Konto eröffnete. Hätte jemand etwas gemerkt, so hätte er die Sache als halben Scherz hingestellt: Erfahrungen sammeln, Lücken im Sicherheitssystem ausprobieren, mal sehen, ob Betrug überhaupt möglich war. Reines Berufsinteresse. Das Experiment gelang, das Konto wurde ohne Fragen

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