Miss Seeton riskiert alles
und ging, mit sich selbst zufrieden, hinaus. Die lange Fahrt war nicht umsonst gewesen und der beste Teil des Tages nicht ungenutzt verstrichen.
Dann waren auch Mel und Thrudd gegangen. Sie hatten sich Miss Seetons Protest gegen eine Einladung zum Abendessen entschieden widersetzt. Miss Seeton wandte sich jetzt ihrer letzten Besucherin zu. Sie sah, daß Deirdre trotz ihres eleganten Kleides und ihres Benehmens kaum mehr als ein Kind war, und meinte:
»Jetzt erzählen Sie mir einmal, was Sie auf dem Herzen haben.«
Deirdre breitete die Hände aus, und ihre Finger bewegten sich lebhaft.
»Ich… Sie könnten mir helfen. Aber«, fügte sie schnell hinzu, »Sie müssen versprechen, niemandem etwas zu sagen.«
»Meine Liebe, das kann ich unmöglich versprechen, ohne zu wissen, was es ist. Wenn es etwas mit gestern abend zu tun hat, das die Polizei erfahren sollte, dann würde ich natürlich nicht schweigen. Es wäre ein großer Fehler und sehr unklug. Sie werden sehen, daß Chefsuperintendent Delphick sehr freundlich und verständnisvoll ist. Und diskret.«
Die Finger waren einen Augenblick ruhig, dann senkten sie sich. »Ich weiß nicht, ob Sie über meine Familie Bescheid wissen?«
Miss Seeton war überrascht. »Nein, leider nicht.« Ihr kam vage in den Sinn, daß sie einmal irgendwo von einem Lord Kenharding gehört hatte. Aber nichts Genaues.
»Vater hatte in der vergangenen Woche einen Unfall…« Als Deirdre einmal zu reden begonnen hatte, gewann sie Vertrauen und fühlte sich erleichtert. »Die Bremsen versagten, als er in der Nähe unseres Hauses eine hüglige Straße hinabfuhr. Glücklicherweise trug Vater mit Ausnahme eines gebrochenen Armes und einiger Prellungen keine Verletzungen davon. Und«, sie sah Miss Seeton offen an, »es war auch kein Unfall.«
»Woher wissen Sie das?« Miss Seeton war verblüfft.
»Der Bremsschlauch war zerschnitten. Die Garage hat es mir gesagt.«
»Warum hat man es Ihnen erzählt?« fragte Miss Seeton überraschenderweise.
»Warum? Weil ich sie gefragt habe.«
»Warum?«
»Ich – « Deirdre war aus dem Gleichgewicht geraten. Sie hatte Miss Seeton nur außerhalb ihrer gewohnten Umgebung erlebt und war nicht darauf vorbereitet, von einer erfahrenen Pädagogin ausgefragt zu werden. »Nun, ich – ich wußte, daß etwas faul an der Sache war.«
»Das ist mir klar, meine Liebe. Aber warum?«
Deirdre lachte kurz auf. »Wenn Sie während des letzten Wochenendes bei uns gewesen wären, würden Sie es wissen. Vater war mürrisch wie ein Brummbär. Als ich ihn nach dem Wagen fragte, mich erkundigte, was passiert sei, und sagte, ich würde hinunter in den Ort zur Garage gehen und ihn mir ansehen, explodierte er. Er sagte, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern und mich aus den seinigen raushalten.«
»Aber«, bemerkte Miss Seeton, »Sie gingen trotzdem hin.«
Deirdre lächelte flüchtig. »Ja natürlich – hätten Sie das nicht auch getan? Ich habe versucht, mit meiner Mutter zu reden, aber es war hoffnungslos. Sie war verwirrt und sagte, Vater wüßte es am besten.« Sie beugte sich vor. »Sie haben – sie haben Angst. Irgend jemand muß etwas unternehmen.«
Wie das den jungen Leuten ähnlich sieht, dachte Miss Seeton. Sind bereit, Schwierigkeiten auf sich zu nehmen, ohne überhaupt zu wissen, wie groß diese vielleicht sind. »Glauben Sie nicht«, sagte sie, »daß die Haltung Ihres Vaters nur eine Reaktion auf eine stillschweigende Kritik an seinen Fahrkünsten gewesen sein könnte? Ich glaube, Herren sind in dieser Hinsicht sehr empfindlich. Ich will damit nicht sagen«, fügte sie hastig hinzu, als sie Deirdres Gesichtsausdruck sah, »daß dies zutreffen muß. Wenn die Garage sagt, daß etwas durchgeschnitten wurde, dann muß es offenbar so gewesen sein. Weiß Ihr Vater Bescheid?«
»Ja, sie haben es ihm gesagt und auch, daß es gemeldet werden müßte. Vater ging in die Luft und meinte, das sei Unsinn. Wenn der Schlauch wirklich durchgeschnitten war, dann müßte er es selbst getan haben, als er an dem Wagen herumreparierte.« Deirdre war voll Verachtung. »Aber er pfuscht nicht am Wagen herum; so vernünftig ist er. Er versteht nichts davon, er kann nur fahren. Wenn irgend etwas nicht in Ordnung ist, kommt der Wagen sofort in die Werkstatt.«
Miss Seeton fragte sich, was dies alles mit dem vergangenen Abend zu tun hatte. Man mochte nicht geradeheraus fragen, um nicht vielleicht teilnahmslos zu erscheinen. »Was«, fragte sie, »hat dies alles
Weitere Kostenlose Bücher