Miss Seeton riskiert alles
abend wurde ein Polizeibeamter vor dem Goldfisch angegriffen. Miss Seeton kam ihm zu Hilfe, wodurch sie zufällig mit in den Fall verwickelt wurde. Wir hielten es daher für das beste, sie nach Hause zu bringen, weil sie den letzten Zug nicht mehr erreicht hätte. Die beiden in Frage kommenden Männer wurden festgenommen; wir hoffen, daß damit der Fall erledigt ist.«
»Sie hoffen?« wandte Thrudd ein. »Nun, ich als Miss Seetons alter Waffenbruder, der in der Genfer Altstadt Seite an Seite mit ihr gekämpft hat, würde sagen, wo sie ist, da ist auch die Schlacht. Ich werde am Ort des Geschehens bleiben.« Nach seiner Erfahrung jagten Chefsuperintendenten nicht ohne Grund durch die Landschaft. Irgendeine Geschichte war am Kochen.
Sogar Mel, die Delphicks von Verantwortung getragene Zuneigung für die kleine ehemalige Zeichenlehrerin kannte, fand es außergewöhnlich, daß er offenbar nur den Laufburschen spielte. Dann war da auch noch Deirdre Kenharding. Abgesehen von einer gemurmelten Begrüßung hatte sie kein Wort mehr von sich gegeben; sie schien jedoch entschlossen, die Party zu überdauern. Sie war nicht von hier. Als Berichterstatterin für die Gesellschaftsspalte wußte sie, daß der alte Kenharding zum Aufsichtsrat des Goldfisch gehörte. Der jüngere Bruder Derrick war eifrig dabei, sich einen schlechten Ruf zu erwerben, war über alle Stränge geschlagen und fuhr offensichtlich auf seinen eigenen krummen Wegen zur Hölle. Ja, was mit den Kenhardings zusammenhing, interessierte sie.
Delphick machte dem Fest ein Ende, indem er sich bei Miss Seeton bedankte und sagte, er müsse zurück ins Büro. Sie würden ihr später mitteilen, ob sie als Zeugin gebraucht werde, falls die beiden Männer sich für nicht schuldig erklären sollten. Inspektor Borden werde sie anrufen oder Haley schicken, sollte sich noch etwas über den gestrigen Abend herausstellen oder eine Frage über die Zeichnungen zu beantworten sein.
»Sie sähen es sicher nicht gern, wenn ich ein halbdienstliches Auge auf die Skizzen werfe?« fragte Mel.
Delphick lachte. »Nein, sie sind streng dienstlich; da gibt es keine Halbheiten. Wenn Sie beide«, er streifte Deirdre mit einem Blick, »wirklich mit Ihren Spesengeldern helfen wollen, dann schlage ich vor, Sie kommen heute abend wieder und führen Miss Seeton zum Abendessen aus. Dann braucht sie nicht zu kochen.«
Er überlegte; es gab nichts, was Miss Seeton der Presse erzählen konnte, was diese nicht bereits wußte oder folgerte – ausgenommen den Namen Herrington-Casey. Da Miss Seeton jedoch wußte, daß es eine vertrauliche Angelegenheit der Polizei war, würde man sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht dazu verführen können, ihn auszuplaudern. Außerdem würde ihn ein geschickter Interviewer aus einem der Kasinoangestellten herausholen können, oder Der Goldfisch könnte ihn absichtlich durchsickern lassen. Wieso eigentlich durchsickern? Konnte von dort Miss Seetons Name durchgesickert sein? Das würde bedeuten, daß man es schon früher am Abend auf sie abgesehen hatte, was mit seiner Überzeugung im Einklang stand, daß der Überfall draußen vor dem Goldfisch von innen her organisiert worden war. Würden sie sich wieder auf sie stürzen? Wenn Thatcher ihren Plan mit dem Porträt erraten hatte, dann mußte er wissen, daß er gescheitert und es jetzt zu spät war. Delphick erinnerte sich an eine frühere Gelegenheit, bei der Miss Seetons Haus durchsucht und geplündert worden war, nachdem die Polizei geglaubt hatte, die Gefahr sei vorüber. Und da war auch noch die Sache mit den Kenhardings.
»Sie haben keine Sicherheitsvorrichtung hier, nicht wahr?« Miss Seeton sah ihn verständnislos an. »Alarmanlage gegen Einbrecher.«
»Du meine Güte, nein. Hier gibt es nichts zu stehlen.«
»Da irren Sie sich sehr«, tadelte er sie. »Sie sollten wissen, daß der Polizeipräsident von Kent eine Werbeaktion gestartet hat, um die Hausbesitzer zu bewegen, sie zu installieren und uns armen Polizisten viel Arbeit zu ersparen. Ich werde dafür sorgen.«
»Aber wäre das nicht sehr teuer?«
»Kein Angst! Wir schenken sie Ihnen – um unsretwillen.« In Anbetracht dessen, was sie gestern abend gewonnen hatte, war dies eine Ausgabe, über die man keine Bedenken haben sollte, selbst wenn man, wie er hoffte, den Gewinn mit ihr teilen würde. Mel und Thrudd wechselten Blicke. So, so – das Orakel erwartete also neue Unannehmlichkeiten. Delphick verbeugte sich vor Deirdre, winkte den übrigen zu
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