Miss Seeton und der Hexenzauber
»so oft ihr könnt. Pranayama ist der erste Schritt – der erste elementare Schritt –, die Kontrolle zu vervollständigen.
Durch alle Zeiten haben die großen Männer diese Technik angewandt. Die großen Weisen aus dem alten Testament taten es. Unser höchster Meister, der größte Yogi von allen, tat es. Ich kann es tun. Und«, versicherte er, »ihr könnt es auch tun.«
»Die Holländer in Amsterdam tun es, und die Finnen tun es«, flötete Anne leise in Bob Rangers Ohr.
Tatsächlich versuchten viele Zuhörer die Atemtechnik.
Röcheln, Zischen und Schnauben ertönte überall in der Halle. Einen ahnungslosen Beobachter hätte die Versammlung an eine ungezogene Klasse erinnert, die ihrem Lehrer eine lange Nase dreht. Yoga-Übungen, notierte sich Miss Seeton, keine ausreichenden Kenntnisse. Äußerst unklug. Einige der Atemschüler fühlten sich bereits ein wenig eigentümlich. Miss Nuttel, die ihren Atem besonders gründlich ausgestoßen hatte, bekam jetzt keine Luft mehr und kippte zur Seite.
Mrs. Blaine zog ihr Riechsalz aus der Tasche.
Während die Versammlung Übungen für ihren ersten Phantasieflug machte, ließ Miss Seeton den Blick über die Reihen schweifen. Diese gedrehten Turbane. Sehr schwierig, sie zu tragen. Und selbst auf ganz weißem Haar war dieser Rotton mit den gelben und braunroten Streifen ausgesprochen unvorteilhaft. Diese Frau mußte die Verwandte der Colvedens sein, da sie neben ihnen saß.
Nigel hatte den Platz neben seiner Mutter, wandte sich aber ab und schaute nach hinten. Es schien, als hätte etwas ganz anderes sein Interesse geweckt. Oh. Kein Wunder.
Da saß dieses reizende Mädchen, das sie gestern am Strand angesprochen hatte.
Foxon saß neben Miss Seeton am Mittelgang und beobachtete seine Schutzbefohlene. Ein verdammt bescheuerter Job, ehrlich – die alte Schachtel zu dieser verrückten Versammlung bringen, auf sie aufpassen und ihre Reaktionen beobachten. Der Chief Inspector mußte eine Schraube locker haben. Klar, Brinton war alt, aber diese Sache … wahrscheinlich wurde er senil und verlor allmählich die Übersicht. Was die Reaktionen betraf – sie hatte sich ein paar Notizen gemacht. Er beugte sich ein wenig zur Seite und las, was sie geschrieben hatte. Nichts von Bedeutung; das hätte er allein mindestens genauso gut machen können. Und jetzt war ihr langweilig, sie fing an zu kritzeln. Ein Porträt vom Redner? Könnte von Nutzen sein, fand er. Er sah zu, wie Miss Seeton mit kräftigen Strichen den Kopf eines Ziegenbocks aufs Papier zauberte.
Also kein Porträt. Sie machte wohl nur Fingerübungen und zeichnete – wer konnte ihr’s verdenken? – Haustiere.
Der Ziegenbock im Halbprofil hatte einen boshaften Blick; es sah aus, als würde er höhnisch grinsen. Ein, zwei kurze Stricheleien, und ein weißer Flügel wuchs aus dem dunklen Haar über dem Ohr. Danach zeichnete sie einen Finger, der ein Nasenloch zuhielt. Der Redner als Ziegenbock – keine schlechte Idee. Er war so verblüfft, daß er laut loskeckerte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er spürte, daß ihm jemand auf die Schulter tippte. Ein junger Mann mit schwarzem Plastikring am Finger baute sich neben ihm auf.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte der junge Mann, »aber so etwas mögen wir hier nicht. Es stört die Konzentration der Leute. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich Sie jetzt auffordern zu gehen, Sir …«
»Es macht mir aber etwas aus«, gab Foxon zurück und rutschte auf seinem Sitz etwas tiefer.
Der junge Mann legte die Hand auf Foxons Arm, knapp über dem Ellbogen, und drückte direkt auf einen Nerv.
Der Schmerz zwang den keuchenden Foxon auf die Füße.
Ein zweiter junger Mann, auch mit schwarzem Ring, packte seinen anderen Arm. Sie nahmen ihn in die Mitte und führten ihn durch den Gang zwischen den Reihen.
Foxon wehrte sich. Sie zerrten ihm die Jacke herunter, so daß er die Arme nicht mehr bewegen konnte, dabei fiel seine Brieftasche auf den Boden. Ein dritter Mann hob sie auf und besah sich den Inhalt, ehe er sie zurückgab und den anderen folgte. Bob war schon fast auf dem Sprung, besann sich – aber anders und lehnte sich wieder zurück.
Es war wohl besser, wenn er nicht eingriff. Das Orakel würde ihm das Fell über die Ohren ziehen, wenn er sich ohne offiziellen Auftrag einmischte. Das war Foxon vom Revier in Ashford; er kannte ihn. Was hatte der kleine Idiot angestellt, daß sie ihn regelrecht abführten? Und wieso wehrte er sich nicht? Foxon war doch
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