Miss Seeton und der Hexenzauber
vergeht.« Die Leute waren ergriffen vor Ehrfurcht.
»Deshalb«, verkündete er, »bringe ich euch die Botschaft aus dem Jenseits. Das Leben, so wie wir es in der westlichen Welt – mit unserem erbärmlichen
Vorstellungsvermögen und unserer kindlichen Unfähigkeit, das Unendliche zu begreifen – verstehen, ist zu Ende.« Die Zuhörer durchfuhr ein Schauer der Angst, und der große Meister setzte noch eins drauf: »Es wird sehr bald nicht mehr existieren«, schwor der Prophet mit hocherhobener, drohender Hand – ein moderner Jupiter, der Blitze auf die Menschheit schleudert. »Diese Erde ist am Ende angelangt.« Die düstere Prophezeiung schien das Licht in der Halle zu dämpfen und drohende Schatten über die andächtige Gemeinde zuwerfen. »Diejenigen, die mein Euch Jenseits vom Jenseits gelesen haben, erschienen im Offset Verlag und in allen einschlägigen Buchhandlungen sowie draußen vor dem Eingang für dreißig Shilling erhältlich …«
Jenseits vom Jenseits/Offset für 30 Shilling, notierte sich Miss Seeton pflichtbewußt.
»… werden verstehen, was ich meine – werden die ungeheuerliche Bedeutung dessen, was auf uns zukommt, erfassen. Damit kein Mißverständnis aufkommt: Unsere Zeit, eure und meine, unser aller Zeit ist abgelaufen.«
Einige Zartbesaitete, die schon früher vom Weltuntergang gehört hatten, brachen in Tränen aus. Miss Nuttel hielt den Atem an. Ihre Freundin schluchzte. Ein älterer Herr in der vierten Reihe putzte sich die Nase. »Aber verzweifelt nicht«, munterte der Meister sie auf, »ich bin heute abend hier, um euch Mut zu machen. Ich bin hier, um euch zu erretten. Wißt ihr, wie man atmet?« fragte er streng. Seine Zuhörer sahen ihn überrascht und verständnislos an. »Der Atem ist der Quell des Lebens«, belehrte er sie. Diese erleuchtende Wahrheit wirkte wie eine große Offenbarung. »Durch richtiges Atmen – durch Pranayama – bestimmen wir unser Schicksal und unser Tun; wir kontrollieren also nicht nur unseren Geist, sondern auch unseren Körper. Ihr denkt, ein Mensch kann nicht fliegen – ich sage euch, er kann. Die Regierungen verschleudern euer Geld, um Raumschiffe und Atomraketen zu bauen, um dem Mond einen kurzen Besuch abzustatten und so weiter und so fort. Damit zerstören sie nur die Stratosphäre. Unser Klima hat sich verändert, unsere Gesundheit ist ruiniert, und jetzt liegt unsere gesamte Erde im Sterben – zerstört von der Dummheit der Menschen.
Aber ich habe Erkenntnisse, die all die unbedeutenden Wissenschaften der Menschheit übertreffen. Nuscience kann euch zu den Sternen bringen – jeden von euch – ohne Motor, nur mit Geisteskraft.«
In einem kleinen Raum hinter dem Rednerpodest saß ein junger Mann. Er hatte Kopfhörer auf den Ohren und betätigte die Schalter eines High-fidelity-Recorders. Am Mittelfinger seiner rechten Hand steckte ein blauer Plastikring. Die Tür öffnete sich, und zwei Männer kamen herein.
»Wie macht sich der alte Bock, Basil?« fragte der kleinere und kräftigere der beiden Männer. »Hält er sich ans Manuskript?«
»Nicht schlecht, Duke«, erwiderte Basil Trenthorne.
»Ich hab’ ihm vor der Veranstaltung sein Lebenselixier weggenommen« – er deutete auf die flache Brandyflasche, die neben dem Recorder lag – »und ihm versprochen, daß er es wiederbekommt, wenn er sein Sprüchlein da draußen brav aufgesagt hat.« Er horchte einen Moment. »Er ist gerade beim Atmen«, erzählte er den beiden anderen. »Im Moment schwirrt er zwischen den Sternen herum. Das Atmen gibt ihnen meistens den Rest, wenn sie sich richtig anstrengen. Manchen wird so schummrig, daß sie glauben, sie würden wirklich fliegen. Das ist immer für ein paar Neueinsteiger gut.«
Der Mund des Mannes, den Basil Duke genannt hatte, verzog sich zu einem erwartungsvollen Grinsen. »Und es hilft, die Stammkunden bei der Stange zu halten und großzügig zu machen.«
Der Redner auf dem Podium goß Wasser aus einem Krug in ein Glas. Er trank einen Schluck und überblickte einmal mehr seine andächtige Gefolgschaft. »Das erste, was wir lernen müssen, ist das Atmen.« Er preßte einen Finger gegen einen Nasenflügel. »Tief einatmen – Puraka.
Und die Luft so lange wie irgend möglich anhalten. Dann« – er ließ den Arm sinken, hob den anderen und drückte das andere Nasenloch zu –, »auf der anderen Seite ausatmen – Rechaka. Ihr müßt spüren, wie jeder Atemzug den ganzen Körper durchströmt. Übt das«, ermahnte er,
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