Miss Sophie, Sie können mir vertrauen
sofort zweierlei klar: erstens, dass sie sich sehr deutlich bewusst war, wie sie ausgesehen hatte, und zweitens, dass dieser Umstand sie sehr verlegen machte. Steif begrüßte Lord Helford sie. Er hatte die Absicht, ihr zu versichern, sie habe nichts zu befürchten, weil ihr Aussehen nicht die mindesten Auswirkungen auf ihn gehabt habe, doch Kits Anwesenheit und die einen Moment später den Salon betretende Nichte machten es ihm unmöglich, diese Lüge zu äußern.
Es war äußerst unschicklich, dass Fanny Kits alte Sachen anhatte. Ungeachtet des Gefühlsaufruhrs, in dem David sich befand, war er höchst amüsiert, nicht zuletzt des entschuldigenden Blicks wegen, den Miss Andrews ihm zuwarf, als sie das Kind in den Raum brachte.
“Sehr unziemlich, Mylord. Ich bitte um Entschuldigung, aber etwas Besseres haben wir nicht gefunden. Miss Sophies alte Sachen sind schon vor Jahren weggegeben worden.” Sie hielt ihm einen Mantel hin. “Ich bin sicher, Sie können Ihre Nichte darin einhüllen, sodass niemand etwas bemerkt. Und von uns wird niemand etwas sagen.”
“Danke, Miss Andrews”, erwiderte David und nahm den Mantel an sich. Nachdem er mit den Damen verabredet hatte, Kit in zwei Tagen abzuholen, verabschiedete er sich in der festen Überzeugung, Miss Marsden werde, je weniger er sie zu Gesicht bekam, desto sicherer vor ihm sein.
Sophie war von Herzen froh, ihn gehen zu sehen. Der grässliche Mensch! Wie hatte er es wagen können, sie so anzusehen. Immerhin hatte sie seine Nichte aus dem Fluss geholt! Schließlich war sie es nicht gewohnt, einen Mann um sich zu haben, der etwas für sie erledigte. Außerdem wäre Lord Helford bestimmt nicht in seinen Hosen und tadellos polierten Reitstiefeln in das moddrige Flusswasser gegangen.
Als Sophie Kit Gute Nacht sagen ging, legte er sofort das Buch beiseite und fragte: “Wird es dich stören, wenn Miss Fanny hier ist?”
“Nicht im Mindesten”, versicherte sie ihm und setzte sich auf die Bettkante. “Wird es dich stören, mit ihr auszureiten?”
“Blödsinn!” Kit schwieg eine Weile und äußerte dann: “Tante Sophie?”
“Ja, Schätzchen?”
“Es tut mir leid, dass ich dauernd weggelaufen bin und so ungezogen war und …”
“Mach dir deswegen keine Gedanken”, unterbrach sie ihn freundlich.
“Aber das ist so dumm”, meinte er. “Das liegt nur daran, weil du so wie Mama aussiehst, und ich denke immer, du seist sie, und dann bin ich irgendwie enttäuscht und wütend, weil Gott sie und nicht dich mir weggenommen hat. Ich dachte, Gott hätte dich zu sich rufen können, ohne den Unterschied zu merken.” Sehr verlegen hielt Kit inne. “Und dann fühle ich mich so elend, weil du so gut zu mir bist.”
Lord Helford hatte also recht.
Sophie strich dem Jungen über das weiche Haar. “Du musst dich nicht elend fühlen, Kit. Glaub mir, ich wäre gern gestorben, um dir das zu ersparen. Und denk nicht, Gott könne deine Mama mehr lieben, als du das tust. Anders, ja, aber nicht mehr.”
Eine Weile saß man schweigend da, während die Mauerschwalben unter dem überhängenden Dach zwitscherten.
Schließlich fragte Sophie: “Warum hast du mir das alles erzählt?”
“Lord Helford”, antwortete Kit bedächtig und fuhr unsicher fort: “Das war, als er mich beim Fluss traf, und ich dachte, du seist hinter mir. Und ich wollte … meine Mama … und er sagte, sie suche nach mir. Davor habe ich nicht richtig begriffen, was nicht in Ordnung war, aber ich habe ihm das gesagt. Ich … ich weiß nicht, warum. Glaubst du, dass ihn das gestört hat?”
“Nein”, antwortete Sophie. Sie war ziemlich sicher, dass nichts, was Kit äußern würde, Seine Lordschaft nach einigen der Bemerkungen, die sie zu ihm gemacht hatte, auch nur im Mindesten befremden werde.
Wieder lange tröstliche Stille.
“Die Blumen, die wir Mama gebracht haben, werden verwelken, nicht wahr, Tante Sophie?”
“Ja.”
“Nun, sollten wir dann neue hinbringen? Ich meine, wenn sie verwelken, werden sie nicht mehr gut aussehen.”
“Du weißt ja, dass Blumen verwelken. Alle Blumen verwelken. Weißt du, auch ihre Seelen steigen zum Himmel auf. Daher wird deine Mutter die Blumen bekommen. Vielleicht sollten wir ihr nur an den Tagen Blumen bringen, an denen du ihr ohnehin welche geschenkt hättest. Du weißt, zu ihrem Geburtstag, an deinem Geburtstag, zu Ostern und auch an ihrem Todestag.”
Kit dachte darüber nach und erwiderte: “Daran habe ich nie gedacht. Natürlich müssen die
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