Miss Winbolt ist schockiert
„Edric Fenton war ein sonderbarer Mann. Wer wird denn noch kommen?“
„Die Deardons werden erscheinen, und ich vermute, sie bringen ihren Gast Sir William Ashenden mit. Er hat gerade Charlwood gekauft.“
„Was Ashenden wohl geritten hat, dieses Gut zu erwerben? Hat er eine Ahnung davon, was es kosten wird, es wieder auf Vordermann zu bringen? Die Einkünfte eines ehemaligen Marineoffiziers dürften kaum reichen, es wieder bewohnbar zu machen“, erklärte Philip.
Rosa hatte anderes im Kopf. „Wie alt er wohl ist und ob er verheiratet ist?“, fragte sie gedankenverloren.
Die Festivität war bereits in vollem Gang, als die Winbolts eintraten und ihre Mäntel im Vestibül abgaben. Philip führte Rosa und Emily in den Ballsaal, wo sie herzlich von Lady Langley begrüßt wurden.
„Vermutlich kennst du die meisten Leute hier noch aus deiner Kindheit, meine liebe Rosa. Aber vielleicht kennst du Lady Deardon noch nicht? Ihr Tisch ist dort hinten. Ich stelle euch vor.“ Indem sie Emily verschmitzt anlächelte, fügte sie hinzu: „Lady Deardons Gast ist auch zugegen. Sicher wird Miss Winbolt Interesse haben, ihn kennenzulernen. So ein vornehmer Mann …“
Rosas Bemühungen, mich zu verheiraten, sind der Nachbarschaft offenkundig nicht verborgen geblieben, dachte Emily missmutig, während sie der Gastgeberin durch den Saal folgten. Beim Vorstellen verhielt sie sich betont reserviert. Lady Deardon beäugte sie interessiert und wandte sich dann an Philip und Rosa, um sie zu bitten, etwas zu warten, bis ihr Patensohn wieder zurück sei. Sie stimmten freudig zu und nahmen Platz. Emily schaute sich um.
Weiter hinten im Saal führte ein hoch gewachsener Gentleman eine auffallend attraktive Frau auf die Tanzfläche. Er lächelte, während er sich vorbeugte, um seine Begleiterin zu verstehen … Emily blieb beinahe das Herz stehen. Einen Augenblick lang war sie wie versteinert. Es ist unmöglich! Ich muss unter Halluzinationen leiden! Es kann nicht Will sein! Vermutlich ist die Ähnlichkeit reiner Zufall. Will war ein nachlässig gekleideter Herumtreiber, er konnte unmöglich Gast im Hause einer der standesbewusstesten Familien der Gegend sein und mit einer so vornehmen Schönheit tanzen. Niemals! Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben. Doch es gelang ihr nicht. Der Schock saß zu tief, und im Ballsaal kam es ihr mit einem Mal unerträglich heiß vor. Sie brauchte frische Luft. Nachdem sie ihren Fächer in ein Blumengebinde hatte gleiten lassen, rief sie aus: „Oh! Ich habe meinen Fächer in der Manteltasche vergessen. Bitte entschuldigen Sie mich, ich will ihn kurz holen.“ Noch bevor sich jemand anbieten konnte, ihr zu helfen, stand sie auf und ging so unauffällig wie möglich aus dem Saal.
Sie floh in das Damenzimmer, setzte sich hin und ließ sich ein Glas Wasser bringen. Sie zitterte. Es muss eine Wahnvorstellung sein, dachte sie. Sein Gesicht hatte sie wochenlang in ihren Träumen verfolgt. Es ist nicht Will, er kann es nicht sein …! Sie fröstelte. Aber was, wenn er es doch ist? Sie trank etwas Wasser und beruhigte sich schließlich. Es musste sich um eine zufällige Ähnlichkeit handeln.
Rosa betrat den Raum. „Hast du deinen Fächer gefunden?“ Besorgt sah sie ihre Schwägerin an. „Geht es dir nicht gut? Du siehst blass aus.“
„Die Hitze hat mir zugesetzt, aber jetzt ist es besser. Nein, ich habe ihn noch nicht gefunden. Vielleicht habe ich ihn im Saal verloren.“
„Wir suchen ihn, wenn wir wieder hineingehen. Wenn du fertig bist, musst du unbedingt Lady Deardons Patensohn kennenlernen. Philip und ich haben uns schon eine Weile mit ihm unterhalten, und ich glaube, das wäre genau der richtige Mann für dich! Er ist vornehm, groß, sehr gut gekleidet, kultiviert und klug. Außerdem scheint er Humor zu besitzen. Komm mit.“
Emily seufzte. Wie satt ich es habe, dem vermeintlich ‚richtigen Mann‘ vorgestellt zu werden . Seit Rosa wusste, dass sie gern allein leben wollte, war sie zwei Baronets, einem Admiral und zahllosen Armeeangehörigen vorgestellt worden, vom Captain bis zum Brigadegeneral … Und wenn wir in London sind, wird Rosa sicher vornehme Schriftsteller, Künstler, Poeten und Diplomaten auftreiben, die alle die ‚Richtigen‘ für mich sind … Ich werde an einem Übermaß an Bewerbern zugrunde gehen! Der Gedanke amüsierte sie. Beinahe lächelte sie wieder, als sie ihre Schwägerin zurück in den Ballsaal begleitete.
Doch an der Tür hielt sie inne und blickte sich vorsichtig
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