Miss Winbolt ist schockiert
zurückreisen.“
„Und was wird aus der Suche nach einer Gouvernante?“
Emily wich seinem Blick aus und erklärte: „Du hattest recht, als du heute Morgen äußertest, dass ich nicht richtig bei der Sache wäre. Keine der Frauen, die wir kennengelernt haben, erschien mir gut genug. Mir ist allerdings jemand eingefallen. Der Pfarrer von Stoke Shearings hat eine Tochter, die eine gute Gouvernante wäre. Ich nehme an, dass sie nicht bei uns wohnen würde, aber James und Laura müssen ja nicht Tag und Nacht betreut werden. Wäre das in deinem Sinne?“
William blickte in ihre leuchtenden Augen. Ihr Abendkleid mit modischem Ausschnitt gab den Blick frei auf einen schlanken Hals und verführerische Kurven. Das warme Kerzenlicht unterstrich ihre feinen Gesichtszüge. Plötzlich spürte er, dass sie beide einen Fehler begangen hatten. Emily Winbolt war alles andere als unansehnlich. Sie konnte wunderschön aussehen. Einen Augenblick lang war er versucht, sie um eine zweite Chance zu bitten und etwas so Kostbares wie ihre Beziehung nicht einfach wegzuwerfen. Doch dann versteifte er sich auf den Gedanken, dass Emily ihm aus freien Stücken ihr Vertrauen zurückschenken müsse, das sie ihm ohne echten Grund entzogen hatte. Er hatte genug gebettelt. Ihren Vorschlag konnte er indes schwer ablehnen.
„Wenn du das richtig findest“, entgegnete er langsam. „Langfristig müssen wir uns natürlich etwas anderes überlegen.“
Lord Winbolt hatte die beiden genau beobachtet und urteilte dann: „Ich stimme Ihnen zu, Ashenden, dass Sie erst einmal die Sache in Charlwood aufklären müssen. Ich möchte nicht, dass meine Enkelin in einem Haus wohnt, wo Diebe und Mörder herumgeistern.“
„Großvater! Hast du nicht zugehört? Wir werden nicht heiraten!“
„Vergesst auf jeden Fall nicht, mich einzuladen“, erwiderte Lord Winbolt.
William erhob sich lachend vom Tisch und sagte: „Sie haben offenkundig Ihre eigenen Vorstellungen. Da ich aufbrechen muss, will ich mich nicht mit Ihnen darüber streiten.“
Nachdem er sich bei seinem Gastgeber für den vergnüglichen Abend bedankt hatte, verabredete er sich mit Emily für den nächsten Tag und wünschte beiden Winbolts eine Gute Nacht.
Nachdem er gegangen war, schwieg Lord Winbolt eine Weile. Dann bemerkte er: „Du warst dir immer selbst dein größter Feind, Emily.“
„Warum sagst du so etwas?“
„Du begehst einen schweren Fehler, weil du diesen Taugenichts dein ganzes Leben zerstören lässt.“
„William? Ein Taugenichts? Das meinst du nicht ernst!“
„Natürlich meine ich nicht William Ashenden, verdammt! Ich meine diesen Colesworth.“
„An den habe ich seit Jahren nicht mehr gedacht.“ Emily gestand sich ein, dass es nicht ganz stimmte. Zwar hatte sie den Mann vergessen, aber nicht den Schmerz. Sie hatte William ohne zu zögern verurteilt, weil die alte Verletzung noch immer so tief saß.
„Du hast einen echten Mann abgewiesen, weil ein charakterloser Schwächling dir vor Jahren so wehgetan hat. Du wirst einige Mühe haben, um Ashenden wieder zurückzugewinnen.“
„Und wenn ich ihn gar nicht zurückhaben will? Er hält mich für unansehnlich und eigensinnig.“
„So wie er dich ansieht, glaube ich nicht, dass er so von dir denkt!“ Er lehnte sich vor. „Emily, du bist eine Enkelin, wie man sie sich besser nicht wünschen kann. Aber du hast einen Fehler. Du bist stur.“
„Warum erzählen mir das alle ständig?“
„Vielleicht, weil du dich so verhältst.“ Er legte seine knorrige Rechte auf ihre Hände. „William Ashenden ist ein ehrenwerter Mann. Ich weiß das, Philip und Rosa wissen es – und du weißt es ebenfalls. Ganz offenkundig war er nie an deinem Vermögen interessiert. Trotzdem vertraust du ihm nicht? Das kann nur an deiner Sturheit liegen. Oder gibt es einen anderen Grund? Emily, meine Liebe, du scheinst davon überzeugt zu sein, dass du niemals glücklich werden wirst. Jetzt, wo alles dafür spricht, dass du dich irrst, sorgst du dafür, dass das Glück an dir vorbeiläuft. Er ist ein ehrenwerter und großzügiger Mann, aber er ist auch stolz. Er wird nicht ewig auf dich warten. Das würde kein Mann von Charakter tun. Denk darüber nach.“
11. KAPITEL
Das Gespräch mit ihrem geliebten Großvater machte es für Emily unumgänglich, noch einmal ernsthaft über ihre Beziehung zu William nachzudenken. Nach einer schlaflosen Nacht wurde sie sich in den Morgenstunden darüber klar, dass sie sich geirrt haben musste.
Weitere Kostenlose Bücher