Miss Winbolt ist schockiert
an der Tür stehen, ich will euch schließlich sehen!“
Lord Winbolt war zwar nicht mehr bei bester Gesundheit, hatte jedoch nichts von seiner geistigen Auffassungsgabe eingebüßt. Nachdem seine Enkelin vor ihm geknickst und ihm einen Kuss gegeben hatte, bat er William näher zu treten. „Emilys Galan will ich mir genau ansehen.“ Er musterte William von Kopf bis Fuß. „Sie sind also William Ashenden“, sagte er. „Derjenige, von dem Emily glaubt, er sei hinter ihrem Vermögen her.“
„Ich bin Ashenden“, bestätigte William. „Aber Sie irren sich völlig, wenn Sie denken, ich wäre an Miss Winbolts Vermögen interessiert.“
„Das denke ich überhaupt nicht, junger Mann. Mir ist bekannt, dass Sie reich wie Krösus sind. Warum heiraten Sie sie dann nicht?“
„Großvater, bitte!“ Emily war vor Verlegenheit dunkelrot angelaufen. „Sir William und ich haben uns geeinigt, dass wir nicht zueinander passen.“
„Ihre Enkelin heiratet mich nicht, weil sie mir nicht mehr vertraut. Sosehr ich dies bedauere, kann ich doch nichts dagegen tun. Deshalb hoffe ich, dass Sie es nicht als unhöflich empfinden, wenn ich mich jetzt verabschiede. Ich habe in London mehr zu erledigen, als in der kurzen Zeit zu schaffen ist.“
Lord Winbolt legte die Stirn in Falten. „Nun ja, dann gehen Sie nur. Manche Dinge dulden keinen Aufschub.“
William lächelte. „Darf ich daraus schließen, dass Sie bereits wissen, worum es geht? Sie scheinen genauso gut informiert zu sein wie Ihr Enkel.“
„Besser, hoffe ich! Aber natürlich haben Sie recht – er hat mir davon berichtet. Ich habe Nachforschungen anstellen lassen. Es gibt einen Kidman in der Bond Street. Es könnte sich um den Mann handeln, nach dem Sie suchen. Allerdings wäre ich sehr enttäuscht, wenn Sie nicht wenigstens morgen mit uns dinieren würden. Ich habe mich so auf eine vernünftige Unterhaltung gefreut. Heutzutage komme ich nicht mehr viel vor die Tür.“
„Das hält dich offenkundig nicht davon ab, überall in der Stadt mitzumischen“, bemerkte Emily mit liebevollem Lächeln. „Ich glaube jedoch nicht, dass Sir William daran interessiert ist, weiter über seine persönlichen Angelegenheiten ausgefragt zu werden, Großvater. Und mir geht es genauso. Ich würde ihm keinen Vorwurf machen, wenn er für morgen absagte.“
„Warum lässt du den Mann nicht für sich selbst sprechen, Emily? Wenn Ashenden dich schon stundenlang bis nach London begleitet, würde ich gern mehr über ihn erfahren. Ob du ihm nun traust oder nicht, sicherlich gönnst du ihm ein gutes Dinner. Werden Sie also kommen, Ashenden?“
William verbeugte sich und erwiderte: „Danke, ich freue mich darauf. Aber nun muss ich gehen. Wann möchtest du morgen abgeholt werden, Emily? Wäre dir elf Uhr recht?“
„Ja, danke.“ Sie begleitete ihn bis zur Tür und flüsterte: „Mein Großvater nimmt kein Blatt vor den Mund. Ich hoffe jedoch, dass schreckt dich nicht ab. Ich freue mich, wenn du morgen kommst, er ist so gern in Gesellschaft.“ Sie warf einen liebevollen Blick zurück auf die Gestalt am Kamin. Lord Winbolt schien eingenickt zu sein.
„Du hast ihn sehr gern, oder?“
„Ich liebe ihn von ganzem Herzen.“
Er sah sie neugierig an. „Du bist eine seltsame Mischung aus ganz oder gar nicht, Emily. Einerseits hängst du so hingebungsvoll an denen, die dir nahe stehen, und andererseits bist du so misstrauisch gegenüber dem Rest der Welt.“ Er ergriff ihre Hände, um ihr eine gute Nacht zu wünschen, und fügte hinzu: „Aber ich bin mir sicher, dass in deinem Herzen kein Zweifel Platz hätte bei einem Mann, den du wirklich liebst. Ihm würdest du blind vertrauen, und ich würde ihn beneiden. Gute Nacht.“
Er holte sie am nächsten Morgen so pünktlich ab, dass Emily noch nicht ganz fertig war. Erst nachdem sie drei Kleider anprobiert hatte, konnte sie sich entscheiden. Schließlich trug sie ein graues Ausgehkleid und eine dazu passende Pelisse, die mit Seidenbändern dekoriert war. Sie fand es angemessen – sachlich und zugleich feminin.
Nichtsdestotrotz war sie verunsichert, als ihr Großvater in seiner typischen Offenherzigkeit ausrief: „Großer Gott, Mädchen! Diese Nonnenbekleidung findet ein echter Mann wie William Ashenden sicherlich nicht attraktiv!“
„Es war auch gar nicht meine Absicht, auf William Ashenden anziehend zu wirken“, erwiderte sie säuerlich. Beunruhigt stellte sie fest, dass Sir William bereits in die Eingangshalle geführt worden war.
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