Miss Wyoming
als Susan Sarandon, was den Grundstein für ihre lebenslange Vorliebe für die Twinsets des mittleren Westens legte. Sie las Science-Fiction. Sie probierte, Mitglied bei dem Intelligenzlerverein Mensa zu werden, ließ sich jedoch von der Ansammlung glatzköpfiger Männer abschrecken, die über Nudismus diskutieren wollten, und von Frauen, die ohne Ende Wortspiele machten und sich über ihre eigenen schlauen Witzchen schlapp lachten.
Ein halbes Jahr vor dem Examen schlugen sich bereits ein Dutzend Firmen darum, Vanessa einzustellen. Sie entschied sich für die Rand Corporation, weil sie in Santa Monica, in der Nähe von Hollywood, lag, und Vanessa dort einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Superhirnen vermutete. Dem Kino konnte sie durchaus etwas abgewinnen - es war die einzige wirklich neue Kunstform des zwanzigsten Jahrhunderts. Ihre Arbeit in Kalifornien machte ihr großen Spaß, und abends ging sie in die Coffee-Bars von Los Angeles, wo sie Dutzende von jungen Männern mit Ziegenbärten und diversen unvollendeten Drehbüchern kennen lernte. Manche waren intelligent, andere süß und wieder andere äußerst charmant, aber es war Ryan, den sie drei Jahre später als den ersten anderen Angehörigen der neuen Spezies erachtete. Sie entdeckte ihn zufällig eines Nachts bei West Side Video, nach einem Abend in einer weiteren Runde von Ziegenbärten mit Drehbüchern, den sie mit einsilbigen Hmms und Mbbms bestritten hatte. Sie wollte einen obskuren, aber technisch interessanten Dokumentarfilm der frühen Achtziger, Koyaanisqatsi, zurückgeben und murmelte mehr zu sich selbst als zu irgend jemandem in ihrer Nähe, dass der repetitive, minimalistische Soundtrack des Films sie nicht in den rauschähnlichen Alphazustand versetzt hatte, über den sie gelesen hatte.
»Oh, dann musst du ihn dir noch mal ansehen, aber in einem richtigen Kino, dann funktioniert's. Jedes Mal.«
»Hast du das schon selber erlebt?«
»Ja, klar. Das ist einer meiner Lieblingsfilme.« Vanessa war beglückt. »Mir hat er auch gefallen, aber ...«
»Oh, weißt du - du musst ihn auf einer großen Leinwand sehen. Wirklich. Ich will mich ja nicht aufdrängen, aber ich würd dich gern was fragen - hast du Lust, morgen Abend mit mir ins Kino zu gehen? Im NuArt läuft um halb zehn Koyaanisqatsi. Wenn du um acht hier wärst, könnten wir vorher vegetarisch essen. Du bist doch Vegetarierin, oder? Ich meine, dein Teint... «
Es entstand eine bedeutungsschwangere Pause, in der Gefühle und Optionen vor ihnen aufblühten wie Blumen im Zeitraffer. Und schon gab's kein Halten mehr. Am nächsten Abend sahen sie sich Koyaanisqatsi an. Weitere Kinobesuche folgten. Als Vegetarier weigerten sie sich, irgendetwas zu essen, das sich seiner Erbeutung widersetzt haben könnte. Ryan war Drehbuchautor und Tischler, und von allen Hollywood-Autoren, denen Vanessa bisher begegnet war, war er der Einzige, der nicht glaubte, die Welt schulde ihm sowohl ein Taj Mahal als auch eine große, durchsichtige Lotteriekugel, die sich vollgestopft mit flatternden Tantiemenschecks um sich selbst drehte. »Tungaska« war genial. Vanessa ergriff das gleiche Fieber wie seit jeher jede Frau, die dafür kämpft, dass ihr Liebster sein Medizinstudium oder etwas Ähnliches vollenden kann. Sie war fest entschlossen, diejenige zu sein, die ihn entdeckte, sein Talent befruchtete und ihn bei seinem Aufstieg unterstützte. Dann schaute sie eines Abends überraschend in der Videothek vorbei und ertappte Ryan dabei, wie er seine Unterschrift mit der ihren verschlang. Und da war sie sich sicher: Das musste Liebe sein. Sie hatte so ihre Zweifel an ihm gehabt - seine Susan-Colgate-Verehrung, seine Caesar-Frisur und "seine Unterwäsche, die nicht nur frisch gewaschen wirkte, sondern gerade frisch ausgepackt. Aber bisher hatte noch niemand, den sie erträglich gefunden hatte, ihre Gesellschaft wirklich genossen.
»Vanny, schau mal - das ist ein Trafokasten der Klasse 3 mit« (schluck) »einem WPA-Basrelief an den Türen. Halt an!« Sie waren auf dem Weg zu einem wieder aufgeführten Hal-Hartley-Film, den Ryan auf keinen Fall verpassen wollte. Er ließ Vanessa fahren. Ihre Kinder würden fantastisch werden.
Kapitel Dreißig
Am Morgen nachdem John, Vanessa und Ryan sich von Dreama die Zahlen hatten lesen lassen, saß John auf einem Handtuch vor dem Gästehaus und bombardierte Vanessa und Ryan mit Telefonanrufen, um die Suche nach Susan voranzutreiben. Als John zum vierten Mal in
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