Miss Wyoming
Vanessas Büro anrief, war sie mit ihrer Geduld am Ende.
»John, die können mich feuern, wenn die Firma erfährt, dass ich ihr System benutze, um zwei Irre irgendwo in South Central Wyoming aufzuspüren.«
»Sie sind also immer noch in Wyoming?«
»Dreihundert Meilen westlich von Cheyenne, im Moment... fahren sie gerade durch ... Table Rock, Wyoming.« Dann rief John Ryan an und quetschte ihn über Susans Vergangenheit in Wyoming aus.
»Susans Mutter ist nach Wyoming zurückgekehrt, nachdem Susan beim Fernsehen aufgehört hat. Aber eigentlich stammt Susan aus Oregon.«
»Dann könnte es sein, dass ihre Mutter in Wyoming ist?«
»Da war sie zumindest vor ein paar Jahren, als Susan sich von ihrer Amnesie erholte.«
»Amnesie - pffft«, sagte John verächtlich. »Amnesie ist ein großer Quatsch, Ryan. Das gibt's doch bloß im Kino.«
»Egal, niemand weiß, wo sie in jenem Jahr war. Übrigens, wo warst du denn, als du von der Bildfläche verschwunden bist, John? Das hast du mir immer noch nicht erzählt.«
»Ich war nirgendwo.«
»Du verarschst mich. Jack Kerouac, Mann!« »Nein - Ryan - weißt du, wo ich war? Ich war wirklich nirgendwo. Ich habe aus Mülltonnen gegessen. Ich habe unter Brücken geschlafen. Ich bin durch den Südwesten gezogen, habe Parodontose gekriegt, meine Haut wurde zu Schweinsleder, und ich hab verdammt noch mal nichts dabei gelernt.« John legte auf. Er ließ sich die Informationen vom Vormittag noch mal durch den Kopf gehen und war bald überzeugt, dass der Schlüssel zum Rätsel von Susans Aufenthalt darin lag, Marilyn zu finden. Er rief Vanessa an und erzählte ihr von seiner Idee.
»John, das LAPD hat bereits erfolglos versucht, Susans Mutter zu finden. Und außerdem hassen Susan und ihre Mutter sich. Ich habe mir den Sue-Colgate-Klatsch von vollen zwei Jahren ins Gehirn träufeln lassen. Ich musste Ryan um halb drei Uhr morgens zum Rund-um-die-Uhr-Supermarkt fahren, damit er doppelseitiges Klebeband für seinen Schrein kaufen konnte. Ich bin ungefähr seit dem Tod des Grunge gezwungen worden, Meet-The-Blooms-Videos zu sehen, anstatt in Mädchenfilme zu gehen. Den Großteil meines Wissens beziehe ich zwar aus Datenbanken, aber ich kenne auch die Klatschpresse, und Sue Colgate hasst ihre Mutter.«
Der Laubsauger eines Nachbarn verstummte, und John staunte, wie schnell die Welt still wurde. Er ging mit dem schnurlosen Telefon zurück ins Haus. »Bitte, Vanessa. Wo auch immer die Mutter ist, werden wir Susan finden. Das ist dir doch klar, oder, Vanessa?« Vanessa antwortete nicht. »Ich weiß, dass es dir klar ist, Vanessa. Du bist die Profi-Finderin, nicht ich.« Er setzte sich auf eine Couch und sah zu, wie die Sonne durch die Schlitze im Gardinenstoff brach wie in einem billigen 70er-Jahre-Hotel in Reno. Ein unabgewaschener Teller in Johns Spüle verrutschte scheppernd. John holte Luft. »Du bist schlau, Vanessa. Du bist hübsch. Du könntest leicht als menschliches Wesen durchgehen, wenn du wolltest. Es turnt dich an, andere an der Nase herumzuführen. Aber ich mache mir Sorgen um Susan Colgate, und zwar in einer Weise, wie ich mir noch nie zuvor Sorgen gemacht habe. Das kannst du vielleicht nicht nachvollziehen, aber ich weiß, dass dir die Sache zumindest nicht gleichgültig ist. Ich weiß es einfach.« Vanessa schwieg einen Moment und sagte dann: »Na gut.« John seufzte und betrachtete die Rillen in seinen Fingernägeln, während er fortfuhr: »Susan. O Mann - sie hat schon so viel durchgemacht, dass ich heulen könnte. Und doch ist sie immer noch dieses wunderbare Geschöpf.«
Die Sonne verschwand hinter einem Eukalyptusbaum, und in Johns Zimmer wurde es kühl und grau. Er konnte das Laub hinter sich rascheln hören, und durchs Telefon vernahm er an Vanessas Ende der Leitung vereinzelte Bürogeräusche. »Ich brauche deine Hilfe, Vanessa. Du bist meine letzte Rettung. Mein Orakel. Du magst eine Außerirdische sein, aber du bist eine gute Außerirdische. Auch Superman war ein Außerirdischer. Und heute Nachmittag - das ist die Chance, die das Schicksal dir bietet, dein Uraniumherz durch Blut zu ersetzen.«
Jemand rief vom anderen Ende des Büros nach Vanessa. Sie antwortete: »Gleich, Mel.« John konnte sie atmen hören. Vanessa sagte: »Sie heißt Marilyn, ja?«
»Ja.«
John ging nach draußen, legte sich auf den Rücken und ließ sich von der Sonne braten. Dies war sein erstes richtiges Sonnenbad seit dem Tag, an dem er in Flagstaff krank geworden war.
Ryan
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