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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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im Biologieunterricht in Vierergruppen aufgeteilt worden, von denen jede ein Schwein zugewiesen bekam. Sie wurden aufgefordert, ihre Beobachtungen zu sammeln, und danach würde die Klasse über Gehirne sprechen. Vanessa hatte ein eigenes Gehirn bekommen. In sämtlichen Schulen von Bergen County bekam Vanessa immer ein eigenes Gehirn. Der Grund war weniger, dass sie überall aneckte, sondern eher, dass sie ein tickendes, in braunes Papier eingeschlagenes Päckchen in der Wartehalle eines Flughafens war. Vanessa Humboldt bekommt eine Sonderbehandlung. Vanessa sezierte ihr Schweinehirn schnell, mit einem forensischen Tempo und einer Eleganz, die ihren Lehrer, Mr. Lanark, schaudern ließ. Als Nächstes war Hauswirtschaftslehre dran, wo Mrs. Juliard den Schülern demonstrierte, wie man Eier schaumig schlägt, sie in eine gebutterte antihaftbeschichtete Pfanne gießt (bei mittlerer bis niedriger Hitze) und die Ränder des entstehenden Omelettes vorsichtig mit einem Teflon-Spatel anhebt, damit die flüssige Eiermasse obendrauf nach unten fließen und stocken kann. Sobald sie gar war, wurde die scheibenförmige Eiermischung in der Mitte umgeklappt, et voila: »ein sauberer Frühstücksgenuss«.
    Die Schüler folgten Mrs. Juliards Anweisungen. Gegen Ende von Vanessas Omelette-Schöpfungszyklus, während sie die Eier umklappte, wurde ihr Leben in zwei Teile geteilt. Sie stand da im Hauswirtschaftsunterricht, klappte das Omelette wieder auf und dann wieder und wieder auf unterschiedliche Art und Weise zusammen. Die anderen Schüler vollendeten ihre Omelettes, aßen sie oder warfen sie weg, je nach Grad ihrer Essstörung, und machten sich fertig zum Gehen, doch Vanessa stand da wie weggetreten. Ihre Mitschüler kannten sie schon seit dem Kindergarten, hatten miterlebt, wie sie Barbie-Puppen, stoffbezogene Haargummis, Duran Duran und diverse andere Dinge, auf die Mädchen zu jener Zeit standen, verschmähte und sich stattdessen mit Commodore 64s, Gameboys und der Konstruktion von geodätischen Kuppeln aus Bambus-Sate-Spießen beschäftigte. Sie kicherten über sie. »Vanessa, Schatz - hast du dich etwa über irgendwas geärgert?«, fragte Mrs. Juliard, die sie wie die meisten Lehrer, die Vanessa seit dem Kindergarten gehabt hatte, wie ein rohes Ei behandelte. Sie fürchteten, sich unwiderruflich irgendwelche subtile, grausame Bestrafungen einzuhandeln, wenn sie in irgendeiner Weise den Unmut dieser Intelligenzbestie vom Mars erregten. Vanessa sah sich in der High-School wie in einer einschläfernden Zeitlupe gefangen, die sie nur deshalb über sich ergehen lassen musste, weil ihre deprimierend unsensiblen und fantasielosen Eltern sich weigerten, irgendwelche Anstrengungen zu unternehmen, sie in einem Hochbegabten-Programm unterzubringen oder ihr zu erlauben, die eine oder andere Klasse zu überspringen, weil sie - paradoxerweise - fürchteten, sie würde dann sozial vereinsamen. In den Augen ihrer Eltern war die High-School ein Ort des Spaßes und der sprühenden Lebensfreude, wo Snapple das bevorzugte Genussmittel sympathischer Kinder war, die allesamt Fans des Footballteams Coolidge Gators waren und mit Crack nichts am Hut hatten. Sie betrachteten Vanessas Intelligenz als Akt mutwilligen Ungehorsams gegen eine Schule, die sich von ihren Schülern nichts als reine Haut,' fügsames Betragen und kein übermäßig urbanes Verlangen nach elaboriert konstruierten Turnschuhen erhoffte.
    Aber jetzt war alles anders, und daran war ihr Omelette Schuld. »Vanessa? Alles in Ordnung, Schatz?«
    Vanessa sah Mrs. Juliard an. »Ja. Danke. Ja.« Sie betrachtete ihr schmutziges Kochgeschirr. »Ich werde jetzt abwaschen.« Sie schwänzte ihre nächste Stunde, setzte sich auf einen Heizkörper bei der Cafeteria und wartete bis zum Mittag. Sie wusste, dass niemand Vanessa Humboldt fragen würde, was mit ihr los sei, aus Angst, die Antwort würde womöglich bloß ihr Leben verkomplizieren.
    Es läutete zur Pause. Sie wartete fünf Minuten, dann ging sie ins Lehrerzimmer, wo gerade Zigaretten angezündet und Mittagessen aus Tupperdosen und der Mikrowelle geholt wurden. Der Vizedirektor, Mr. Scagliari, sagte: »Vanessa - hier ist Zutritt verboten für -«, aber sie schnitt ihm das Wort ab. »Halten Sie den Mund, Mr. Scagliari.«
    Die Stimmen im Raum wurden leiser und verstummten dann ganz. Die Anwesenheit einer Schülerin im Lehrerzimmer war auch im New Jersey der späten Achtziger noch eine Seltenheit. Vanessa kam so umstandslos zur Sache, als

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