Miss Wyoming
magischen Gesetzen der Musikbranche waren Steel Mountain aus heiterem Himmel passe. Die Plattenfirma zahlte nicht mehr, die Ersparnisse schmolzen, Chris musste auf kleineren Bühnen und in kleineren Städten spielen und in ihm staute sich langsam eine Bitterkeit an, wie sie mit enttäuschten Ambitionen einhergeht. Nun lernte Susan seine Schattenseiten kennen. Er ließ ihr die monatlichen 10000 Dollar von seinen Anwälten in Form von zweihundert Schecks ä 50 Dollar auszahlen, dann wurden die Schecks immer seltener, und es gab nicht viel, was sie dagegen tun konnte. Eines Morgens ging sie zu ihrem Wagen hinaus -ein hübsches kleines Saab-Cabrio - und stellte fest, dass Chris ihn gegen eine gesichtslose weiße Billiglimosine ausgetauscht hatte, die Susan den Pontiac für die schwächeren Tage nannte. »Es ist, als würde man einen Tampon fahren, Dreama.« Ein Jahr später hatte Susan einen neuen Agenten, Adam, der Susan aus reiner Gefälligkeit übernahm. Er schuldete Larry vierzehn Monate Miete für die Büroräume, die seine zweitklassige Agentur von Larrys Holding-Gesellschaft gemietet hatte. Er rief Susan an und sagte ihr, ihr stünde ein großer Durchbruch bevor, denn ein junger Regisseur mit einem Entwicklungsvertrag bei Universal wolle sie für die Rolle der geistesgestörten Ex-Freundin in einem High-Budget-Action-Film haben, an dem er gerade arbeitete. »Susan, das ist ein ganz junger Typ, und er ist eine echt beiße Nummer.«
»Was hat er bisher gemacht?«
»Einen Werbespot für Pepsi.«
An Susans Ende der Leitung herrschte Schweigen. Schließlich fragte sie ihn: »Wie ist der Titel?«
»Dynamite Bay.«
»Warum wollen sie gerade mich?«
»Weil du eine Legende bist, und du ...«
»Hör auf, Adam. Warum ich?«
»Du unterschätzt dich, Susan. Die Zuschauer beten dich an.« »Adam?«
»Er hat vor dir alle Darsteller der alten Serie Facts of Life gefragt, und von denen wollte keiner mitmachen. Also hat er sich stattdessen für dich entschieden.«
»Ach. Dann bin ich jetzt also retro?«
»Wenn retro und toll zu sein ein Verbrechen ist, gehörst du ins Gefängnis, Susan. Zusammen mit John Travolta, Patty Hearst, Chet Baker und Rick Schroeder« Susan drehte den Film und hatte sogar ziemlich viel Spaß dabei, aber hinterher war sie erneut ohne Beschäftigung, was schlimmer war als vorher, denn sie war wieder auf den Geschmack gekommen. Chris war gerade nicht auf Tour und verbrachte viel Zeit zu Hause. Sie stritten sich den ganzen Tag -beide konnten es nicht fassen, dass sie aneinander gebunden waren. Susan zog schließlich zu Dreama, bei der unablässig Räucherstäbchen brannten. Außerdem platzten ständig Dreamas Numerologie-Klienten ins Badezimmer, um Susan zu fragen, ob eine 59 etwas mit einer 443 anfangen sollte. Ihre erbärmlich geringen Ersparnisse und ihr monatliches Einkommen reichten zusammengenommen gerade aus, um ein winziges Cape-Cod-Haus am Prestwick Drive zu mieten. Als 1996 der Start von Dynamite Bay näher rückte, begann Susan mit der Pressearbeit. Sie flog nach New York, um Regis und Kathy Lee ein Interview zu geben. Die Situation war ihr vertraut, und diesmal fand sie es toll. Chris bekam endlich seine Green Card, und die beiden kamen überein, sich scheiden zu lassen, sobald der Film nicht mehr in den Kinos lief. Der Streifen war recht erfolgreich, aber er führte zu keinen neuen Angeboten. Bevor sie sich auf den Weg zum JFK machte, telefonierte Susan in ihrem New Yorker Hotel mit Dreama, die sie daran erinnerte, dass sie demnächst bei einer gemeinsamen Freundin namens Chin zum Essen eingeladen waren. Dreama wollte Susan ihre neuen Zahlen mitbringen, die ihr bei zukünftigen Entscheidungen helfen sollten.
Susan fühlte sich aus der Bahn geworfen. Dreamas harmloser Zahlenquatsch erschien ihr ebenso unsinnig wie alles andere. Auf dem Weg zum Flughafen bat Susan den Fahrer kurz vor dem Midtown-Tunnel bei einem Deli zu halten, wo sie kurz ausstieg und Studentenfutter, Mineralwasser und eine Newsweek kaufte. Sie hatte sich innerlich schon auf die Welt des Flugreisens eingestellt und ihr Gehirn auf Leerlauf geschaltet, da sie nicht damit rechnete, es bis Los Angeles noch mal gebrauchen zu müssen.
Kapitel Neunundzwanzig
Ihr erstes Gehirn sezierte Vanessa eine Stunde bevor sie lernte, ein saftiges, lockeres Omelette zuzubereiten. Das war in der zehnten Klasse an der Calvin Coolidge High School in Franklin Lakes, Bergen County, New Jersey. An diesem Tag waren die Schüler
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