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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Plastikband war hastig um einen Großteil der Unglücksstelle gespannt worden, um Schaulustige fern zu halten, und Marilyn wusste, dass man am einfachsten auf die andere Seite der Absperrung gelangte, indem man den Eindruck vermittelte, man wäre bereits dort gewesen. Zu diesem Zweck schmierte sie sich das Gesicht, die Bluse und die Jacke mit dem fruchtbaren Boden von Ohio ein und betrat geschwind das Gelände, auf dem chaotische Befehle durch Megafone gebellt wurden, lief an blauen Vinylplanen vorbei, die über gestapelten Leichen flatterten, und stieg in die Supermarkt-Fleischlaster, in denen Körperteile zur späteren DNS-Untersuchung eingefroren wurden. Es war eine Vielzahl von Fotografen vor Ort, und ein Foto von Marilyn mit ihrer verzweifelten Miene und ihrer beschmutzten Garderobe landete auf den Titelseiten mehrerer landesweiter Publikationen (»Die Trauer einer Mutter«). Marilyn kaufte von jeder Ausgabe vier Dutzend Hefte. In Marilyns Vorstellung war Susan entweder vollkommen unversehrt oder vollkommen verbrannt. Alles, was sich zwischen diesen beiden Extremen befand, hätte sie nicht ertragen können, denn Susan war eine Schönheit, das Resultat von Marilyns Attraktivität und dem, was sie ihr beigebracht hatte. Marilyns Streben nach Schönheit hatte ihr die Flucht aus den Ozarks der Pazifikküste ermöglicht, weg aus der beschissenen Berghütte in Oregon, in der ihre Eltern mit ihren sieben Kindern wohnten, von denen zwei bereits zu dem Zeitpunkt, als Marilyn begann, Erinnerungen zu generieren, Alkoholiker waren. Sie stammte aus einer Familie schöner Menschen, die jedoch einen abgrundtief hässlichen Charakter hatten, keine Moral, zu viele Schusswaffen, keinen Gott, den sie fürchteten.
    Sie wuchsen völlig isoliert auf, waren größtenteils Analphabeten und steckten ihren Schwanz in alles, was sich nicht dagegen wehrte. Mit sechzehn verließ sie die Berghütte, nachdem einer ihrer beiden Brüder sie geschwängert hatte, und erlitt nach einem vierzehnstündigen Fußmarsch nach McMinnville auf der Toilette einer Dairy Queen eine Fehlgeburt. Von einem der drei Dollarscheine, die sie aus der Gewehrtasche ihres Vaters geklaut hatte, kaufte sie sich ein Banana Split und staunte über den roten Plastiklöffel, den es gratis dazu gab. Von den anderen zwei Dollar kaufte sie sich bei Rexall Grundierung, um ihr vom Weinen verquollenes Gesicht zu überschminken. Sie trampte aus der Stadt hinaus und wurde von Duran mitgenommen, halb Cajun und Vertreter für Abflussrohre. Er machte ihr auf der Stelle einen Heiratsantrag, und sie nahm an, weil sie sonst vom Leben nichts zu erwarten hatte, und außerdem war Duran ein Gentleman, der sie nicht mitten in der Nacht schwer und nass mit seinem Gerammel aufweckte. Tatsächlich rührte Duran sie außer den ersten paar Malen, bei denen Susan gezeugt wurde, kaum an, und das war ihr ganz recht. Durans Liebe war eher eine Art Anbetung, und er bestand darauf, dass Marilyn sich die Vorzüge, mit denen sie ausgestattet war, so weit wie möglich zunutze machte, aber da er ein praktisch denkender Mensch war, verlangte er gleichzeitig von ihr, dass sie etwas lernte, was nichts mit Schönheit zu tun hatte. Daher sorgte er dafür, dass sie tagsüber eine zweiteilige Ausbildung am Miss Eva Lorraine Institute of Cosmetology (seit 1962) absolvierte und an der Abendschule Schreibmaschinen- und Büroorganisationskurse belegte. Marilyn sog alles auf wie ein Wattebausch.
    Als Susan geboren wurde, beharrte Duran darauf, dass Marilyn ihre Ausbildung fortsetzte, die sie schließlich bis zur Rechtsanwaltsgehilfin brachte. »Marilyn, bitte hör auf zu reden, und guck dir die Frau im Fernsehen genau an.« 
    »Ich bin es satt, sie anzugucken.«
    »Das ist hier nicht die Frage. Guck einfach weiter.« Duran war überzeugt, dass die Sprechweise, die einer Frau am meisten nützen konnte, der präzise nasale Telegrammstil der Göttinnen der Fernsehnachrichten war, und er hielt Marilyn dazu an, sie zu beobachten und nachzuahmen.
    »Durrie, warum zwingst du mich, diesen ganzen Kram zu lernen?«
    »Weil ich schließlich nicht ewig da sein werde, Marilyn, und bitte hör auf, wie ein Bauerntrampel zu reden.« 
    »Was soll das heißen - du wirst nicht mehr da sein? Und bitte sag nicht Bauerntrampel zu mir.«
    »Ich muss wissen, dass du es auch alleine schaffen wirst. Die Welt ist hart. Du brauchst eine Ausbildung.« 
    »Und wann werde ich allein sein?« 
    »Wenn du einundzwanzig bist.« 
    »Und dann,

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