Miss Wyoming
Durrie?«
Duran verließ sie tatsächlich, genau wie er angekündigt hatte, und Marilyn akzeptierte es ohne Groll und fand, dass sich ihre Zeit mit ihm durchaus gelohnt hatte. Da sie keine Freundschaften gepflegt und sich von ihrer Familie mehr oder weniger losgesagt hatte, erwähnte sie ihn von da an niemandem gegenüber. Doch als die Fliegentür hinter ihm zuschlug, spürte Marilyn eine Lücke in ihrem Leben, so harsch und beängstigend wie ein frisch abgeschlagener Baumstumpf. Und es war in diesem Moment, dass sie den festen Vorsatz fasste, Susan in die Welt der Schönheitswettbewerbe einzuführen. Miss Eva Lorraines wichtigste kosmetologische Botschaft lautete, dass die Menschen vor allem die körperlichen Merkmale als schön empfinden, die von Fruchtbarkeit zeugen. »Große Titten stehen für Milch, Mädels, das ist kein Geheimnis. Glänzende Haare lassen auf gesunde Follikel schließen, und unsere Eizellen, Mädels, wachsen ebenso aus Follikeln wie unsere Haare und Fingernägel. Und das ist der Grund, weshalb wir uns ständig striegeln und putzen.«
Marilyn kam diese Botschaft ausgesprochen fundiert vor, und von da an ließ sie sich bei allen Entscheidungen, die ihr Äußeres betrafen, von dem Wunsch nach Kindern leiten - Push-up-BHs, Rouge im Dekollete, Zellophan-Spülungen fürs Haar und später Silikoninjektionen, um ihre erschlaffenden Gesichtszüge aufzupolstern. Die Injektionen allerdings kamen erst lange nachdem Don Colgate in ihr Leben getreten war, ein stämmiger Holzfäller vom Hood River. Er war hingerissen von dieser Schönheit, die in einer richtigen Anwaltskanzlei arbeitete und eine Tochter hatte wie eine Porzellanfigurine auf dem Kaminsims seiner Großmutter.
Nach ihrer Hochzeit verlangte er, dass sie aufhörte zu arbeiten, und sie gehorchte. Marilyn fand dieses Ansinnen ausgesprochen altmodisch, aber es implizierte auch, dass Don sie nicht wie Duran irgendwann verlassen würde. Ihre Eroberung Don Colgates war für Marilyn der notwendige letzte Beweis, dass Fruchtbarkeit und die erwiesene Fähigkeit, hübsche Babys in die Welt zu setzen, unerläßlicher Bestandteil ihrer Anziehungskraft und ihres Selbstverständnisses waren. Doch mit Dons Fruchtbarkeit verhielt es sich anders. Seine Spermien waren tot, faul, dumm oder überhitzt, und er zeugte kein Kind mit Marilyn. Im gleichen Maße wie seine Sterilität wurde auch sein Alkoholproblem offensichtlich, und die Anzahl der Schönheitswettbewerbe, an denen die kleine Susan teilnehmen musste, wuchs. Auch die Kaninchenkäfige hinter dem Wohnwagen wurden immer mehr, und ein Wohnwagen, niemals ein Haus, war es deshalb, weil Don in seinem Holzfällerbetrieb einfach nicht befördert wurde. Marilyn stellte fest, dass sie die ihr angeborene Intelligenz in die Welt der Schönheitswettbewerbe einbringen konnte, eine Intelligenz, die sie, wie sie überzeugt war, Susan vererbt hatte. Ihre Konkurrentinnen heulten und kreischten und spielten die Prinzessin, aber Susan saß da wie ein Falke auf einem der Lichtmasten an der Interstate, der nach Beute Ausschau hält, und guckte sich Dinge von den anderen ab. Sie hatte einen Hang zum Siegen und entband Marilyn schließlich von der Notwendigkeit, Karnickeln das Fell abzuziehen.
Don meinte, das Make-up und die Klamotten, die Marilyn Susan tragen ließ, sähen billig und schlampig aus. Sie erwiderte, sie habe einmal gelesen, dass die Mädchen in China schon mit neun Jahren Babys bekämen, »wenn Mädchen also so früh Kinder kriegen können, spricht nichts dagegen, diese Fähigkeit zu betonen«.
»Aber das ist unanständig, Marilyn.«
»Don, reg dich ab. Spiel hier nicht den Moralapostel.«
»Marilyn, neunjährige Mädchen tragen keine Tittenbar-Stilettos.«
»Sei doch nicht so ordinär. Das sind Abendschuhe.«
»Ich dachte, die Leute aus den Bergen wären so weise wie die Waltons.«
Das Thema Anstand brachte Marilyn meistens zum Schweigen, wenn auch nur für kurze Zeit. Etwas über Anstand zu wissen war keineswegs das gleiche, wie ihn tatsächlich zu haben. Sie war in einem Schweinestall aufgewachsen, und ihr fehlte es an moralischen Grundsätzen. In manchen Nächten machte sie sich ernsthaft Sorgen, ob die Sünden der Eltern sich weitervererben - ob ihre eigene primitive Herkunft stärker wäre als Susans engelsgleiche Art. Doch sie sprach diese Gedanken nicht aus. Stattdessen sagte sie Don beispielsweise, dass Anstand immer das war, was jeweils zum Ziel führte. »Wie diese Polynesier, die Spam
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