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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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diesen afrikanischen Nationen, die von Klebeband und Speiseeis-Stielen zusammengehalten werden?« 
    »Auch darüber hab ich schon nachgedacht.«
    »John-O - ohne deine Staatsbürgerschaft hast du keinerlei Schutz mehr. Wenn du amerikanischer Staatsbürger bist, kann die US-Regierung gegebenenfalls eingreifen und dir helfen, wo auch immer du bist. Und außerdem - egal, was passiert, du hast immer noch deine Sozialversicherungsnummer.« 
    »Nicht, wenn ich meine Staatsbürgerschaft aufgebe. Das ist mir klar.«
    Ivan wurde grantig: »Versuch mal, ohne Kreditkarte und mit einem Pass von Obervolta ein Auto zu mieten.« 
    »Das heißt jetzt Benin«, sagte Nylla.
    Ivan warf ihr einen wütenden Blick zu: »Bitte formuliere deine Antwort in Form einer Frage.«
    »Ivan, du schweifst ab. Du verstehst gar nicht, worum es mir geht. Ich werde gar keine Autos mehr mieten wollen. Ich werde gar nicht mehr da sein.«
    »Du gehst mir wirklich auf die Nerven mit diesem Landstreicher-Tick, John-O. In der Kanalisation zu schlafen und saubere Wäsche von Wäscheleinen zu klauen wird dir ziemlich schnell zum Hals raushängen.«
    »Ich erklär's dir, Ivan: Wir reden hier vom Leben auf der Straße - der Romantik der Straße. Seltsame neue Freunde. Alle zehn Minuten ein Abenteuer. Jeden Morgen aufwachen und sich wie ein wildes Tier fühlen. Keine beknackten Vorschriften, keine erdrückenden Verpflichtungen.« Ivan war entsetzt. »Die Straße ist Vergangenheit, John-O. Sie war eigentlich nie aktuell. Du denkst wie ein Teenager, der bei Starbucks hinterm Tresen steht, heimlich in einem Kerouac-Taschenbuch schmökert und hier und da ›Stimmt genauU an den Rand schreibt. Und wenn sonst nichts für dich zählt -Doris ist völlig außer sich.« 
    »Du hast es meiner Mutter gesagt?« 
    »Natürlich.«
    John schwieg einen Moment. »Noch was zu trinken, Ivan?« Während er in den beiden Tiefkühlschränken in der Küche nach Eiswürfeln suchte, dachte John über Ivan und Nylla nach. Er hörte sie im Wohnzimmer reden. Sie unterhielten sich gerade äußerst sachkundig über Auslegeware und Quadratmeterpreise. »Ich will gute Qualität«, sagte Ivan, »einen Teppich, der aussieht wie eine Lage Perlgraupen. Weich und glänzend muss er sein.«
    »Aber wenn Wolle zu sehr glänzt, sieht sie aus wie Orion. Sie muss Charakter haben. Vielleicht durch den Zusatz von ein bisschen Schafdung.«
    »Wir sollen uns den ersten Hanta-Virus-Teppich von Beverly Hills anschaffen?«
    »Schafe bekommen den Hanta-Virus nicht. Nur Nagetiere, glaube ich. Und Waschbären.«
    John lauschte und sehnte sich danach, jemanden zu haben, mit dem er über Teppichböden und Waschbären reden konnte. Es kam ihm vor, als sei er zwar heil und unversehrt, aber wertlos wie ein Schokoladenhase, der im Monat nach Ostern für ein Viertel des ursprünglichen Preises verkauft wird. Doch es war mehr als das. Er fühlte sich verseucht, als zirkulierten in seinem Blut mikroskopisch kleine Einsamkeitsviren, die wie winzige Angelhaken nur darauf warteten, sich in jemanden zu bohren, der dumm genug war, sich mit ihm einzulassen. Er ließ seine Gedanken schweifen. Es musste eine Hoffnung geben - und es gab sie. Er erinnerte sich, dass die Frau aus seiner Vision im Krankenhaus ihm das Gefühl gegeben hatte, es gäbe irgendwo auf dem fremden Todesstern, der sein Herz war, eine verwundbare Stelle, in die er eine Bombe hineinschmuggeln, sich damit in die Luft sprengen und aus den Überresten wieder neu zusammensetzen konnte. Im zweiten Tiefkühlschrank fand John die in einem himmelblauen Plastikbeutel zu einem Klumpen zusammengefrorenen Eiswürfel. Er öffnete den Beutel und versuchte, ein paar Würfel von dem Klumpen abzubrechen. Gedankenverloren fragte er sich, ob er je entspannt mit jemandem plaudern können würde, ohne daran zu denken, wie er auf sein Gegenüber wirken mochte. Der Gleichung Ivan = Nylla entsprach John =  Leerstelle. Vielleicht hatten es die jahrelangen Gebete seiner Mutter Doris endlich auf den Merkzettel des lieben Gotts geschafft. Lieber Gott, bitte pass gut auf Piers Wyatt Johnson, auf. Er war ein großartiger Mensch. Und segne die Pestizid-Industrie, unsere Jungs in Vietnam (obwohl das Jahrhundert schon fast zu Ende war), und bitte finde eine nette junge Frau für John, am liebsten eine, die nichts gegen Zigarettenrauch hat, denn solche Frauen sind in Kalifornien äußerst rar gesät ...
    Er hörte, wie Krista und Cindy die Treppe herunterkamen und begannen, mit Ivan zu

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