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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Ölgemälde vorbei, das eine Waldszene mit einem Jäger zeigte, und etwas daran erregte ihre Aufmerksamkeit.«
    »Was hat sie gesehen? Erzähl's mir noch mal.« 
    »Als Marie-Helene den jungen Jäger, einen strammen Burschen, betrachtete, sah sie, dass er ihr zuzwinkerte. Und dann sprach er sie an. Er sagte: ›Marie-Helene, komm herein -komm her zu mir in dieses Bild. Dieses Gemälde ist dein Fluchtweg. ‹ Marie-Helene hatte Angst. Sie fragte den Jäger: ›Wie soll ich denn in einem Gemälde leben? Was werden wir essen? ‹ Da musste der Jäger lachen, und er sagte: ›Wir haben hier drinnen alles, was wir brauchen. Es ist nicht wie in deiner Welt. Wenn man in einem Bild lebt, kann man andere Bilder besuchen. Wir werden die Bilder von Gelagen besuchen, die die Holländer im 18. Jahrhundert gemalt haben. Wir werden in einem Edward-Hopper-Diner Kaffee trinken. Bitte - komm doch rein. Ich bin so einsam. ‹
    Marie-Helene sagte, sie müsse darüber nachdenken, aber am nächsten Tag stand sie in Wanderausrüstung vor dem Bild, bereit für den Wald. Der Jäger fragte sie: ›Marie-Helene, willst du zu mir ins Bild kommen? ‹ , und sie sagte: ›Ja, ich will. ‹ « Piers trug Eau de Cedrat, einen französischen Zitrusduft, der ihn, wie Doris meinte, wie Charles de Gaulle riechen ließ. Sein ohnehin erotischer Zigarettenqualm mischte sich mit seinem Eau de Cologne wie ein Frühlingsnebel, der die Blumenzwiebeln unter der Erde zum Austreiben anregt. Piers sagte dann: »Da streckte der Jäger seinen Arm aus dem Bild und zog Marie-Helene langsam zu sich in den Wald hinein, bis sie schließlich beieinander waren. Marie-Helene drückte einen Kuss auf seine Lippen. Sie holte etwas aus ihren Taschen, und der Jäger fragte sie, was das sei, doch sie antwortete nicht. Es waren ein Streichholzbriefchen und eine Flasche Feuerzeugbenzin von ihrem Vater. Sie spritzte das Benzin auf den Fußboden des Hauses, zündete ein Streichholz an und warf es in die Flüssigkeit. Das Haus ging in Flammen auf, und Marie-Helene sagte zu dem Jäger: ›Komm, lass uns gehen. Schau dich nicht um. ‹ Und sie gingen fort, fort von dem Feuer und fort von der Welt, in die Marie-Helene niemals zurückkehren konnte.«
    »Die gute Partie schlägt zurück!«, pflegte Doris dann zu sagen. Doris und Piers ließen sich in Manhattan gegen den Willen ihrer Eltern standesamtlich trauen. (»Dor-Dor, er hat keine Familie - niemanden. Das kann doch nicht gut gehen. Johnson - was ist das überhaupt für ein Name?«) Die beiden reisten durch die ganze Welt und zogen dann nach Panama, wo Piers Beziehungen zu einem Gestüt hatte, und Doris wurde schwanger. Eines Nachmittags als sie im achten Monat war und gerade an einem Ikebana-Kurs im Wohnzimmer der Frau eines Nestle-Managers in Miraflores Locks teilnahm, wurde sie ohne jede Vorwarnung von heftigen Wehen übermannt. Sie brach wie am Spieß brüllend zusammen und riss dabei einen Zinkeimer voller noch unbeschnittener Ingwerstengel mit zu Boden. John wurde mit solcher Wucht, so plötzlich und in so großer Hitze geboren - die Klimaanlage funktionierte nicht, und es was entsetzlich schwül im Zimmer -, dass Doris noch Jahrzehnte danach weder hohe Temperaturen noch sonst irgendetwas Tropenähnliches ertragen konnte, sondern sich ständig von einer Klimaanlage zur nächsten rettete. John kam auf einem Mahagonifußboden zur Welt, umgeben von tropischen Blumen und entgeisterten Managergattinnen. Zur gleichen Zeit begutachtete Piers Pferde auf den Kanarischen Inseln. Seine Zweipropellermaschine kam in einem Sturm vom Kurs ab, und er blieb verschollen.
    Ihre Eltern machten »Tss-tss« und »Hab ich's dir nicht gesagt.« Ihr Vater steckte sie in ein kleines Apartment an der Upper East Side, das der Familie gehörte, finanzierte ihr den Unterhalt für den kleinen John und richtete ihr beschränkte Guthaben bei ein paar Lebensmittel- und Bekleidungsgeschäften ein. Die Zeit der wachsbetropften Chianti-Flaschen, der japanischen Papierlaternen und der Kolanis war vorüber, noch ehe sie richtig angefangen hatte. Sie sollte die Rolle der reichen New Yorker Witwe spielen - sie war dazu erzogen worden, reich zu sein ... aber sie war es nicht, und dieser Zustand der Machtlosigkeit bestimmte ihr Leben. Dennoch lebten ihre schönen Erinnerungen an Piers in diesem roten Roastbeef von Baby weiter, das jaulte wie die misshandelte Kupplung eines Chevrolet.
    Als John siebenunddreißig Jahre später den ehemaligen Kinderstar Susan Colgate

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