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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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behutsam ins Gewissen reden würde. Sie würde darauf Acht geben, nicht den Finger in die Wunde - seine jüngste Vergangenheit - zu legen, und dann würden sie und Ivan versuchen, John wieder auf den rechten Weg zu dirigieren. John hatte selbst seine Bedenken. Er war schon früher ohne Rücksicht auf Verluste seinem Instinkt gefolgt, aber nach seinen beiden Kinoflops und seinem Kerouac-Tick hatte es den Anschein, als könnte er sich überhaupt nicht mehr auf ihn verlassen, auch wenn Mega Force derzeit ein Renner war. Bei Susan hingegen verspürte er nichts als pure Emotion. Diese Zuneigung hatte nichts Strategisches. Es war eine Gefühlsaufwallung, die nur Erfüllung finden konnte, wenn sie wieder beieinander wären. Er würde mit seinen Gefühlen kein Geld verdienen. Er würde keine kosmische Seligkeit erlangen - er wäre Susan nur ... näher.
    MacKenzie begann wie ein Tier bei Marine World zu brüllen, und Nylla und Ivan brachten sie hinauf in ihr Kinderzimmer.
    John schnappte sich die Fernsehzeitschrift und überflog die Seiten auf der Suche nach Wiederholungen von Meet the Blooms, enttäuscht, dass er keine finden konnte.
     

Kapitel Acht
     
     
    Johns Mutter, Doris Lodge, hatte seinen Vater, Piers Wyatt Johnson, einen breitschultrigen Pferdezüchter aus Arizona, der weder eine Familie noch eine Vergangenheit besaß, auf einem Gestüt in Virginia kennen gelernt. Vor dem Hotel Pierre in Manhattan lief sie ihm wieder über den Weg. Er hatte dort gerade seinen ersten fünfstelligen Sperma-Deal gemäkelt. Sie verliebte sich in ihn, weil ihr diese zufällige Begegnung wie eine schicksalhafte Fügung erschien, aber vor allem wegen eines Märchens, das er ihr gern erzählte, nachdem sie sich in Doris' Einzimmerwohnung im vierten Stock unter dem Dach eines Hauses ohne Fahrstuhl in Chelsea geliebt hatten. Es war eines dieser Apartments, die seit Anbruch der Wolkenkratzer-Ära scharenweise junge Mary Tyler Moores mit Schottenmützen auf dem Kopf anzogen. Das Zimmer, das anzumieten einen Haufen Schwindeleien erfordert hatte, war ihre erste eigene Bude (»Mummy, bloß nicht das Barbizon - wir haben 1960, es gibt Atombomben, Himmel noch mal!«). Doris liebte die Wohnung so, wie alle frisch gebackenen jungen Großstädter die Schlichtheit von Beistelltischen aus Apfelsinenkisten und improvisierten Spaghettigerichten lieben, die man im Licht von Opferkerzen verspeist (»Achtundvierzig Stück für nur einen Dollar neunundneunzig! Himmel, diese Katholiken haben das Sonderangebot ja erfunden!«) - es war eine Zeit, in der Spaghetti in einem nichtitalienischen Haushalt den gleichen subversiven Reiz hatten wie eine beiseite geschaffte Sammlung militärischer Unterlagen oder ins Land geschmuggelte Sittiche.
    »Also, es war so«, pflegte Pierce das Märchen einzuleiten, während er seine milchweißen Gesäßmuskeln auf der verklumpten Matratze in Doris' Messing-Himmelbett dehnte, ihrem einzigen Zugeständnis an ihr kitschverliebtes Elternhaus. »Es war einmal eine einsame junge Erbtochter, die von ihrem reichen Vater auf seinem Gut auf dem Lande gefangen gehalten wurde. Das Grundstück war von einer großen, efeubewachsenen Backsteinmauer umschlossen.« 
    »Wie hieß sie?«, pflegte Doris an diesem Punkt zu fragen. Das gehörte zum Ritual. »Marie-Helene.« 
    »Wie hübsch«, sagte Doris dann. »Sie war auch hübsch. Sie war eine gute Partie.« »Es ist schwer, eine gute Partie zu sein«, seufzte Doris. Sonnenlicht strömte durchs Fenster, aus dem man einen Blick auf eine klassische Hinterhofszenerie hatte: jede Menge Wasserspeicher, oben das Empire State Building, das wie eine Injektionsnadel in den Himmel stach, unten eine Ansammlung von Mülltonnen, die offenbar lauter großäugige gefleckte Kätzchen dazu einluden, sich auf sie zu setzen und traurig zu maunzen. Das Sonnenlicht glitzerte auf Piers' Körperbehaarung, als würde es durch Eiszapfen gebrochen.
    »Zweifellos«, fügte Piers dann hinzu. »Zweifellos.« Sein Bauch war so straff wie eine Snaredrum, und er ermunterte Doris, mit ihren Fingern darauf herumzutrommeln, während er sprach. »Na ja, auf jeden Fall verbrachte Marie-Helene ihre Zeit damit, Fluchtpläne zu schmieden, aber ihre Familie kam ihr auf die Schliche. Sie stellten zusätzliches Wachpersonal ein und mörtelten Glasscherben oben auf die Backsteinmauer. Aber dann, als sie eines Tages voller Verzweiflung durch die nicht enden wollenden Korridore ihres Elternhauses streifte, kam sie an einem alten

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