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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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von einem von Dons Army-Kumpeln ausgeliehen hatte. Sie begann in dem aberwitzigen Rhythmus von »Whip It«, einer zu dem Zeitpunkt bereits abgestandenen New-Wave-Hymne, mit der Peitsche zu knallen. Zum ersten Mal kam sich Susan auf der Bühne nicht wie ein dressierter Seehund vor. Trish hatte ihren Synthesizer laut aufgedreht, und Susan spürte, wie all die anderen Male, die sie auf der Bühne gestanden hatte, von ihr abfielen - jene Jahre, in denen sie zurechtgeschnürt und herausgeputzt worden war und vor Marilyn und jedem Juror der Welt um Fisch gebettelt hatte, indem sie lustlos wie eine Stewardess, die den Gebrauch der Sauerstoffmasken demonstriert, ihre Show abzog.
    Aber jetzt sah Susan echte Reaktionen in den Gesichtern: Unterkiefer sackten weit herunter, Mütter zerrten ihre Kinder mit sich fort - und in den hinteren Reihen schauten die coolen Kids, die ihr normalerweise den nackten Arsch zeigten oder sie mit Jelly-Tots bewarfen, ohne Feindseligkeit zu. Plötzlich begann der Lautsprecher zu pfeifen und zu ächzen, und als Susan sich umdrehte, sah sie, wie Marilyn unter dem schwachen Protest eines Technikers verschiedenfarbige Stecker aus der Rückseite der Marshall-Verstärker riss. Die Köpfe der Zuschauer wogten wie ein Weizenfeld in die gleiche Richtung, in die sich auch Susan drehte, die Augen funkelnd wie die eines Raben.
    »Was zum Teufel tust du da, Mom?«
    Marilyn fuhr fort, Stecker herauszuziehen, und ihre Gesichtsmuskeln verzerrten sich wie ein Spüllappen beim Auswringen. Susan schlug mit der Reitpeitsche nach Marilyn und traf ihre Hände. Der scharlachrote Plastikfingernagel eines Zeigefingers sprang in die Luft wie eine Heuschrecke. »Mom, lass das! Hör auf!«
    Marilyn packte das Ende der Peitsche und riss sie Susan aus der Hand. Wutschäumend kletterte sie auf die Bühne. Susan wandte sich ihrem Publikum zu. Sie kochte vor Wut. »Meine Damen und Herren, einen großen Applaus für« - sie hielt inne, während Marilyn sich schwerfällig aufrichtete, wie ein Pferd in zähem Schlamm - »meine allzu überschwängliche Mutter.« Das Publikum witterte einen Skandal und klatschte begeistert Beifall, während Marilyn Susan eine scheuerte. Drei Hooligans vor dem Sock Shoppe feuerten sie lautstark an, und dann war Susan durch Marilyns Ohrfeige für einen Moment taub. Ihr war, als bliebe die Zeit stehen. Es kam ihr vor, als verließe sie ihren Körper, und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie nicht auf die gleiche Weise Eigentum ihrer Mutter war wie der Corvair oder der Kühlschrank. Susan erkannte, dass Marilyn sie ebenso wenig besaß wie die Space Needle oder den Mount Hood. Was sie verband, war - wenn Susan sich dazu hinreißen ließ - Sentimentalität oder, was einigermaßen Sinn machte, das Geschäft, aber Marilyn konnte sie nicht mehr jedes Mal, wenn sie die Beherrschung verlor, wie eine zugeknallte Autotür behandeln.
    Marilyn sah Susan in die Augen und begriff, dass sie die Sache vermasselt hatte und ihren Vorteil niemals zurückgewinnen würde. Das versetzte sie noch mehr in Rage, aber Susan konnte sie damit nicht mehr beeindrucken. Sie hatte sie durchschaut.
    Marilyn stürzte sich zornentbrannt auf ihre Tochter, doch die sah sie nur an und sagte milde lächelnd: »Tut mir Leid, Mom, aber du bist dreißig Sekunden zu spät. Diesmal kriegst du mich nicht.«
    Marilyns Arme schlangen sich, teils Halt suchend, teils, als wollte sie sie erwürgen, um Susans Brust. Der Beifall erstarb, und Trish kam herübergerannt. »Mrs. Colgate, bitte.« »Du hinterhältige kleine Hure«, brüllte sie Trish an. »Mom!«
    »Das meint sie doch nicht so«, sagte Trish, während sie versuchte, Marilyn und Susan auseinander zu drängen. »Wir müssen sie von der Bühne kriegen.«
    Der Sicherheitsdienst erschien. Susan und Trish rührten sich nicht vom Fleck, während zwei bullige Typen sich mit aller Kraft bemühten, Marilyn von Susan fern zu halten. »Kommen Sie mit uns, Ma'am.« »Nein.«
    Susan sagte pragmatisch: »Jungs, am besten bringen wir sie in ein Büro oder so was. Sie hat sich total mit Diätpillen zugeknallt. Sie muss irgendwohin, wo es kühl und dunkel ist.« »Verräterin«, zischte Marilyn.
    Susan schnappte sich die Handtasche ihrer Mutter. Sie folgte Marilyn zusammen mit Trish in ein Büro, wo sie ihre Mutter zwang, ein paar Beruhigungstabletten zu schlucken. Sie rief Don an, um ihm zu sagen, dass sie sich verspäten würden. Trish zog sich auf Susans Bitte zurück, und Susan fuhr ihre Mutter heim

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