Miss Wyoming
zu nehmen, nach ihrem Hang zu lachen und amüsiert zu sein. Er sehnte sich nach seiner Mutter, nach Nylla und sogar nach den Zwillingen aus Florida, deren Namen er vergessen hatte.
Fast alle Nobodys, die er sah, waren Männer. Frauen, dachte er, haben so viel mehr Möglichkeiten, zu ihrer Umwelt in Beziehung zu treten - Kinder, Familie, Freunde. John beherrschte die Kunst, den Leuten in die Augen zu sehen und auf einen Blick zu erkennen, ob sie etwas von ihm wollten. Niemand schaute ihn mehr so an. Er war jedoch nicht darauf vorbereitet zu erkennen, wenn sie ihm etwas geben wollten. Manchmal bemerkte er, wie eine Frau ihn beobachtete, wenn er in einem Denny's von der Toilette zurück zum Tresen kam, oder in einem Supermarkt, während sie sich um quengelnde Kinder und Einkaufswagen kümmerte, die sich selbstständig gemacht hatten. Was hatten sie ihm zu bieten? Eine Mahlzeit und eine Dosis Liebe, damit er es bis zum nächsten Zwischenstopp schaffte? Frauen wurden für ihn zu Portalen zurück zu einem besseren Ort, den er offenbar immer übersehen hatte. Fünf betrunkene Dorf jugendliche in einem Pickup raubten ihn eines Abends bei Sonnenuntergang aus, nur weil er gerade da war und sie Lust darauf hatten. Seine UPS-Uniform war mit Blutflecken übersät wie ein Rorschach-Test, und er musste sie an einer Tankstelle in den Mülleimer werfen. Von den fünfzehn Dollar, die er an Recycling-Pfandgeldern zusammengespart hatte, kaufte er sich ein runtergesetztes gelbes T-Shirt mit der Aufschrift MEIN ANDERES HEMD IST EIN PORSCHE und eine Corona-Bier-Windjacke, die es gratis zu einem Sixpack gab, das er innerhalb der Spanne eines Gewitters trank, verdaute und wieder auspisste.
Eines Nachts lernte er in Winslow, Arizona, einen halbwegs netten Typen namens Kevin kennen. Sie hatten beide die Essensreste vor dem Laden einer Exxon-Tankstelle durchstöbert. Es war kurz vor Sonnenuntergang. Ein oder zwei Sterne waren am Himmel aufgegangen. John hatte gerade eine abgelaufene Packung Würstchen gefunden, als Kevin sagte: »Ich wohne gleich um die Ecke. Wir können da essen.« Kevin wirkte einigermaßen vertrauenswürdig, und John hatte Sehnsucht nach einer einfachen Unterhaltung. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er seit Wochen keinen tiefgründigen Gedanken mehr gehabt. Die Wohnung lag unter einer von der Sonne in rostrotes Licht getauchten Brücke, die über einen ausgetrockneten Abwasserkanal führte, und war dekoriert mit nach High-School-Abschlussfeiern entstandenen Graffiti, So-und-so-war-hier-Filzstiftgeschmiere, in der Sonne zerfallenen Kondomen und einer Matratze, die derart verwanzt war, dass John sich beeilte, daran vorbeizuhuschen, als könnte er sonst von besonders sprungstarken Filzläusen angefallen werden. »Hier. Mach mal Feuer.« Er half John, ein paar Zweige unter einer umgedrehten Chevelle-Radkappe, die mit Wasser aus dem dünnen Rinnsal am Boden des Kanals gefüllt war, zum Brennen zu bringen. Als das Wasser zu sieden begann, legte John seine abgelaufenen Würstchen hinein, und die zwei schauten ihnen ohne ein Wort beim Garwerden zu. John schrieb das erbauliche Gespräch ab.
Sie aßen die Würstchen und redeten dabei nur belangloses Zeug - vor allem darüber, wo es als Nächstes hingehen sollte, ob der andere auf dem Weg nach Osten oder nach Westen war und wie das Wetter werden würde. Keiner rückte mit seiner Vergangenheit heraus - dann war der Himmel dunkel. Kevin schlief auf der Matratze ein. John fand ein sandiges Fleckchen hoch oben in einer Ecke unter der Brücke, wo diese auf die Straße traf. Er hatte gelernt, dass es für einen Nobody nach Sonnenuntergang so gut wie nichts zu tun gab. Eingelullt von dem Geräusch der Autos, die ab und zu über ihn hinwegfuhren, schlief er ein.
Irgendwann in der Nacht durchzuckte ihn mitten im Traum ein stechender Schmerz, und als er aufwachte, stellte er fest, dass Kevin dabei war, mit einem abgebrochenen Stück Metall auf ihn einzudreschen, das einmal die hochklappbare Rückwand eines Einkaufswagens gewesen war. Kevin stieß lauter unsinnige Beschuldigungen aus: »Mir meine Würstchen klauen, ja? Einem Mann sein Essen direkt unter der Nase wegzustehlen - du bist auch nicht besser als die Autohersteller in Detroit...«
Blut tropfte aus einem Riss über Johns Wangenknochen, und er begann zu rennen, die Straße entlang, die in eine völlig unbewohnte Ebene führte, bis er sich schließlich weit genug vom Ort des Geschehens entfernt hatte, um sich sicher zu fühlen. Er
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