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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Zimmer gehört hatte.
     

Kapitel Einundzwanzig
     
     
    Selbst die Pünktlichkeit von Mönchen, die jeden Morgen um vier aufstehen, um Brot zu backen, war nichts gegen die Besessenheit, mit der Eugene Lindsay Tag für Tag darauf achtete, dass seine Betrugsbriefe noch vor der morgendlichen Leerung im Briefkasten landeten. Susan wurde unverzüglich mit dieser Aufgabe betraut, und selbst als sie im sechsten Monat schwanger war, ließ Eugene sie noch Kisten voll schwerer Dokumente und Papiere die Kellertreppe hoch- und runterschleppen. Susan machte das überhaupt nichts aus. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie nicht das Gefühl, als warteten unter ihrer Haut Sprungfedern unter Hochspannung darauf, hervorzubrechen. Sie fühlte sich wie im Urlaub. Und als Bonus gab es wilden Sex, bis das Baby zu groß wurde.
    »Yooj, ich komme mir vor wie eine kambodschanische Bäuerin oder so was Ähnliches, wenn ich diese - was ist das überhaupt?« Sie warf einen Blick auf die Umschläge in dem Karton, den sie im Arm hielt - »Drucksachen an Leute in Greater Tampa, Florida, durch die Gegend wuchte. Als würde ich Junior auf einem Reisfeld zur Welt bringen und am nächsten Nachmittag wieder zum Dreschen antreten.« Eugene, in grüne Lichtblitze gebadet wie Frankenstein, widmete sich seinem Xerox-5380-Kopierer wie ein Chirurg seinem Patienten. »He, Sonnenschein, Gott segne Florida. All diese Rentner mit nichts als Freizeit und zu vielen Radiosendern. Die geben ihre Adressen raus wie Kleingeld. Komm, wir bringen das Zeug hoch zur Haustür. Na, los!« Als der Winter kam, wurde die Luft im Haus trockener, doch der Tagesrhythmus blieb unverändert. Im Dezember, nachdem Susan festgestellt hatte, dass sie schwanger war, verbot Eugene ihr, sich in der Nähe der Mikrowelle aufzuhalten und Alkohol zu trinken.
    Frühling und Sommer kamen und gingen. Ihr Job gefiel ihr. Sie öffnete die Post, die Eugene täglich aus einem Postfach bei einem ein paar Straßen entfernten Postamt holte. In den Umschlägen steckten zerknüllte Geldscheine von abergläubischen Radiohörern, deren Namen Eugene einem alten College-Kumpel, inzwischen ein Telemarketing-Profi, abgekauft hatte -diese Vollidioten! Meistens waren es zwei Zwanziger und ein Zehner, aber manchmal fand Susan auch zu schmutzigen Klümpchen zerknüllte Einer und Fünfer, die vermutlich unter dem Fahrersitz des Wagens irgendeines Teenagers hervorgeklaubt worden waren. Was wollten diese Menschen? An was für einer Art kosmischer Roulettescheibe hofften sie zu drehen, indem sie auf Eugenes betrügerische Aktionen eingingen? Susan hatte ein Gefühl im Bauch, als rolle ein dicker, fetter Skistiefel darin herum. Es kam ihr vor, als sei der Flugzeugabsturz von Seneca schon ein ganzes Leben her - das Leben, das sie davor geführt hatte, eine unglaubliche Geschichte bizarrer Entgleisungen, die man ihr am Morgen nach einem schweren Besäufnis erzählte. Das Einzige, was sie tatsächlich an ihre Vergangenheit erinnerte, waren die kurzen Momente, in denen sie sich zufällig selbst im Fernsehen sah - in Wiederholungen alter Serien - sowie die Bilder, die Marilyn, inzwischen wie eines dieser Klappergestelle von der Fifth Avenue gekleidet, die Haare bei jeder Tages- und Jahreszeit zum Chignon frisiert, dabei zeigten, wie sie sich vor Gericht mit der Fluggesellschaft herumstritt.
    Der Knackpunkt an diesem Prozess war, dass Susans körperliche Uberreste trotz unstreitiger Beweise dafür, dass sie in der Maschine gewesen war (ein Telefonat von einem GTE-Airfone aus und die Aussage von vier Angehörigen des Bodenpersonals), nie gefunden wurden und Marilyn als Einziger von allen Angehörigen der Opfer nicht einmal ein Fingernagel von ihrer Tochter geblieben war.
    Susan stellte fest, dass Marilyn dennoch das Beste aus der Situation machte. Da sie die Gunst der Öffentlichkeit auf ihrer Seite hatte, stand zu erwarten, dass sie den Prozess gewinnen würde. Eugene pflegte Susan aufzuhetzen: »Willst du einfach bloss dasitzen, zusehen, wie sie Millionen scheffelt, und nichts tun?« Aber bei diesem Thema wurde Susan immer einsilbig, und daher bedrängte er sie nicht weiter. Susan war der Anblick ihrer Mutter auf dem Bildschirm zu fremd, zu irreal, um sich ernsthaft mit ihr zu befassen.
    Das Leben in Indiana nahm seinen Lauf. Eugene wagte sich nur nach draußen, um seine Post einzuwerfen und kleinere Einkäufe zu tätigen. Susan begleitete ihn gelegentlich, aber viel glücklicher war sie, wenn sie sich mit dem erotischen

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