Miss Wyoming
übel.
Jetzt konnte er ein wenig verstehen, was die Leute, die ihm in Briefen die Blutrünstigkeit seiner Filme vorwarfen, empfinden mochten.
Ryan sagte: »Vanessa und ich werden dir helfen, Susan zu suchen.«
»Wenn du das der Polizei überlässt«, sagte Vanessa, »wird sie Hackfleisch sein, bevor jemand sie findet. Ich werde heute mit den Nachforschungen beginnen. Komm morgen nachmittag um fünf zu mir. Dann kriegst du das Ergebnis und ein Abendessen dazu.« Sie hielt inne. »Stimmt was nicht, John?«
»Wieso?«
»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
»Mir geht's gut, Vanessa«, sagte er. »Ich würde dich gern etwas fragen.«
»Mh-hm?«
»Warum hilfst du mir? Ich meine, du kennst mich doch gar nicht... du ...«
»Schon gut. Es ist wegen Ryan. Du hast ihm geholfen, und deshalb helfe ich dir.«
»Und?« fragte John.
»Das ist alles. Bitte, warum sagst du mir nicht den wahren Grund, weshalb du so versessen darauf bist, Susan Colgate zu finden, hm? Woher soll ich wissen, dass sie nicht schon längst in einem Pfadfinderdress unter deiner Terrasse verwest - und diese Suche nur ein Trick ist, um die Aufmerksamkeit von dir abzulenken.«
John winkte ab: »Dem ist nicht so.«
»Na gut, warum suchst du dann nach Susan Colgate, John?«
»Weil ...«
»Ja?«
John schraubte verzweifelt an seinem Gehirn herum wie an einem Glas Oliven, das sich schwer öffnen ließ. »Weil sie weiß, dass die Menschen dazu geschaffen sind, sich zu ändern. Sie weiß, dass dieser Wandel unvermeidlich ist. Und sie scheint zu erkennen, dass ich einen Punkt in meinem Leben erreicht habe, an dem ich mich nicht weiter ändern kann. Hört sich an wie ein Country- und Western-Song. Tut mir Leid.«
»Also, für mich sieht es so aus, als würdest du ihr nachstellen.
Vielleicht findet sie das irgendwie unheimlich.«
»Ich stelle ihr nicht nach, Vanessa. Ich suche sie. Niemand außer uns nimmt ihr Verschwinden ernst.«
»Sag mal, angenommen, jemand hat Susan irgendwo an die Bahngleise gefesselt und wir retten sie«, sagte Ryan. »Was hat sie eigentlich davon?«
John funkelte ihn wütend an.
»Tut mir Leid.«
Aber Ryans Frage machte John nachdenklich. Was hatte er Susan denn zu bieten? War er nicht bloß ein weiterer abgewrackter Entertainment-Typ, um den sie sich kümmern musste? Nein, denn - denn was? John wühlte tief in seinem Verstand nach einem Bröckchen Vernunft. Er dachte an die schrecklich einsame Frau mit dem Architectural Digest und an die, die er vor dem Pottery Barn getroffen hatte und die ihm zu essen gegeben hatte, die unsichtbare Nation von Eleanor Rigbys, die direkt unter der Schwelle der Wahrnehmung dahinvegetierte. Die Existenz dieser Nation war ihm neu. Noch neuer war ihm jedoch, dass er vielleicht helfen konnte, ihre Probleme zu lösen. »Wir haben viel miteinander gemein«, platzte er heraus.
»Hä?« Sowohl Ryan als auch Vanessa waren mit ihren Gedanken schon längst woanders.
»Ist euch nie aufgefallen, dass die Paare, die am längsten zusammenbleiben, diejenigen sind, die irgendeine dramatische, außergewöhnliche Erfahrung verbindet? Sei es im Job ... in der Schule ... im Freundeskreis?«
»Ja ?«
»Tja, bei mir und Susan ist es genauso.«
»Aber du hast keinen Schimmer, wo Susan nach dem Absturz gewesen ist, John. Du meinst doch die Tatsache, dass ihr beide mal untergetaucht seid?«
»Ryan, das haben wir auf unserem Spaziergang übereinander herausgefunden - dass wir beide am gleichen Ort waren. Im Moment weiß ich nichts Genaueres, aber das wird sich ändern, sobald ich sie finde.«
Sie versanken in Schweigen. Vanessa umklammerte das Lenkrad so fest, als fahre sie durch einen Schneesturm. Ihr Wagen war nur einer von Tausenden auf einem völlig verstopften zehnspurigen Freeway. Selbst in schwärzester Nacht waren noch ganze Ströme von Autos Gott weiß wohin unterwegs. Niemand sagte ein Wort.
John verschlief den gesamten nächsten Tag. Am Abend präsentierte Vanessa John und Ryan bei schlichten Pasta Primavera die Ausbeute ihrer Recherche. »Susan Amelia Colgate wurde am 4. März 1970 in Corvallis, Oregon, geboren. Ihre Mutter Marilyn war mit einem gewissen Duran Deschennes verheiratet, wurde aber nie richtig geschieden.«
»Das ist Polyandrie«, sagte Ryan. »Was?«, fragte John.
»Das Gegenteil von Bigamie. Wenn eine Frau mit zwei oder mehr Männern zugleich verheiratet ist.«
»Dieser Duran Deschennes kam 1983 ums Leben, und die Mutter heiratete 1977 Donald
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