Missbraucht
nah an den Schreibtisch und verließ zusammen mit Sandra das Präsidium. Im Hof verabschiedeten sie sich. Sandra fuhr nach Hause in einen entspannten Feierabend und der Kommissar machte sich zu einem Kurzbesuch seiner Wohnung auf, um schnell zu duschen, bevor er in Manni´s Kneipe ein weiteres persönliches Waterloo erleben sollte.
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25.06.2011
Während der Fahrt nach Hause hatte Richard darüber nachgedacht, wie er dem Oberstaatsanwalt die Demütigung heimzahlen konnte. Es ging ihm weniger darum, dass diese Interessengemeinschaft aus Politik und Justiz, Indizien auf einen Fall von Kinderpornografie unter Verschluss halten wollte, als das vielmehr die Wut auf Koepp und seine feinen Freunde überwog. Natürlich war die Bemerkung vom Herrn Oberstaatsanwalt bösartig gemeint, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Wenn ein Trinker mit solch einer Aussage direkt konfrontiert wird und dazu noch im Beisein, von Leuten, mit denen er täglich zu tun hat, verletzt es doppelt schwer. Genauso fühlte Richard an diesem Abend. Er konnte überhaupt keinen anderen Gedanken mehr aufbringen, immer landete er bei einem Racheszenario.
Der Fall Baumel bot sich dafür geradezu an. Er brauchte nur dessen Leiche und einen hieb- und stichfesten Beweis, dass Frank Baumel ein Pädophiler war. Richard sah sich schon in der Rolle des bundesweit gefeierten Ermittlers, der das schmutzige Handwerk einer ganzen Gruppe von Spitzenpolitikern aufdeckte. Mit dieser Vorstellung konnte er sich anfreunden. Darauf ein Gedeck.
Die Dusche verfehlte ihre Wirkung nicht. Er fühlte sich wie neugeboren. Er lächelte sich selbst an, als er vorm Badezimmerspiegel stand und sich rasierte. Richard ließ seinen Gilette G II Tandem mit der Routine eines erfahrenen Barbiers über seine Gesichtszüge gleiten.
Auf ein anständiges Abendessen verzichtete er. Richard nahm sich je eine Scheibe Käse und eine Scheibe Salami aus dem Kühlschrank und aß sie aus der Hand. Als Nachtisch gönnte er sich seinen letzten Sahnejoghurt und war der Meinung, dass damit eine solide Grundlage geschaffen war, um das ein oder andere Pils zu vertragen. Post hatte er keine bekommen und darüber war er froh, denn außer Werbung und Rechnungen gab es niemanden auf der Welt, der ihm einen Brief hätte schicken sollen. Und von Rechnungen hatte er ebenso die Nase gestrichen voll, wie von dem verlogenen Gehabe mit dem er am Nachmittag konfrontiert worden war. Richard setzte sich in seinen abgewetzten Sessel, der zusammen mit einem kleinen, tiefen und zu allem Überfluss blauen Tisch, den Mittelpunkt seines Wohnzimmers bildete. Beides Relikte aus seiner Ehe. Bevor er sich auf den Weg in seine Stammkneipe machen wollte, informierte er sich über das aktuelle Geschehen per Videotext. Ansonsten brauchte er eigentlich kein Fernsehen, Richard sah Fußball in "Manni´s Kneipe" und der Rest vom Programm zog ihn nicht wirklich vom Hocker. Er überflog die Texttafeln, bis er sich ausreichend schlaugemacht hatte, schaltete aufs Erste, um die letzten Live News aus dem deutschen Mannschaftsquartier zu erfahren und drückte den Apparat aus. Richard dachte nach. Er wollte auch nicht zu früh bei „Manni“ sein, da er die Befürchtung hegte, später beim Spiel dann schon angeschlagen zu sein. Also rief er Anna an. Aber seine Tochter ging nicht an ihr Handy. Bei diesem Wetter war sie vielleicht noch im Schwimmbad oder in Faulheim am Baggersee. Das war eine Sache, die ihm nicht gefiel, denn an dem See traf sich gegen Abend all das, was Rang und Namen hatte, und zwar nicht gerade im positiven Sinne. Richard wusste natürlich als Polizist, dass es ein beliebter Umschlagplatz für Drogen war und dass sich dementsprechend eine Menge der polizeibekannten Konsumenten und Verteiler dort aufhielten. Aber ein Badeseeverbot war lächerlich, das war ihm genauso bewusst. Er baute einfach auf die Selbstverantwortung seiner Tochter. Richards Alternativen wurden weniger und nach eingehender Beratung mit sich selbst, entschloss er sich doch zum Transfer in die Kneipe. Er zog seine 501 wieder an, nahm sich ein Hemd aus dem Schrank und schlüpfte in seine neuen Trekkingsandalen. Dann legte er seine Dienstwaffe in den Küchenschrank, steckte sich Schlüssel, Geldbörse, Zigaretten und Feuerzeug ein und zog die Tür hinter sich zu.
Richard hatte einen Stammplatz an der Theke und auch an einem der Tische, von wo aus er die Spiele immer sah. Es dauerte noch eine Weile, bis da s erste Spiel angepfiffen wurde. Er nahm seinen
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