Missbraucht
mit einer Vielzahl von perfekt gefälschten Papieren und begünstigt durch die großen politischen Umwälzungen Anfang der neunziger Jahre im sogenannten Ostblock, war das erfolgreiche Untertauchen nur ein Kinderspiel für die Profis dieser Spezialabteilungen. Viele hatten sich ein gut funktionierendes Netzwerk aufgebaut und unterhielten weiterhin, direkt oder über Mittelsmänner, Kontakt miteinander.
Nicoletta war als junges Mädchen von der Securitate rekrutiert und ausgebildet worden. Nachdem sie einige Unterabteilungen der Organisation durchlaufen hatte, wurde sie einem kleinen Spezialkommando unter der Führung des Leutnants Ilia Popescu zugeteilt, dem sie bis zur Auflösung der Securitate angehörte. Popescu hatte sie ausgebildet und er hatte sich dabei die allergrößte Mühe gegeben. In jeder Hinsicht. Nicht nur Folter- und Verhörmethoden hatte er ihr beigebracht, sondern auch wie man Beschattungen durchführt oder wie und womit man Menschen erpressen und gefügig machen kann. Sei es auf brachiale Art oder auf ganz subtile Weise. Ilia Popescu beherrschte das komplette Repertoire. Das eine hatte Nicoletta im Fall von Uwe Stromberg hervorragend umgesetzt und das andere, war ihr bei Frank Baumel total aus dem Ruder gelaufen. Ilia würde ihr helfen, daran bestand kein Zweifel. Er war der beste Mann für diesen "Spezialauftrag".
Sie würde ihm allerdings bestimmt eine "Gefälligkeit" erweisen müssen. Und wenn schon, der Sex mit ihm hatte Nicoletta immer gefallen. Sie mussten es nur schaffen, Uwe in dieser Zeit irgendwie zu beschäftigen. Doch dafür würde ihnen bestimmt was einfallen, darin war ihr alter Lehrmeister ein wahrer Künstler. Von ihrer Beute wollte sie Ilia besser nichts erzählen, warum sollte sie Begehrlichkeiten wecken?
Immer wieder strich sich Nicoletta durch ihr dunkles Haar, während sie überlegte. Sie trug ein gelbes Shirt, eine blaue Mustang Jeans und offene dunkelrote Schuhe mit flachen Absätzen. Nicoletta war keine besonders attraktive Frau im herkömmlichen Sinne, dafür war sie vielleicht einen Tick zu klein und zu rund. Aber diese Rundungen waren genau an den Stellen, wo Männer sie gerne haben und das wusste sie. Ihre braune Haut, gepaart mit den dunklen Augen und mit ihrem pechschwarzen, langen Haar, dass sie auf der Arbeit zum Zopf gebunden, ansonsten aber wild und offen trug, bedienten das Klischee einer Zigeunerin. Nicolettas Gesichtszüge waren geschliffen scharf und man sah ihr an, dass sie schon etwas erlebt hatte. Wahrscheinlich in jeder Beziehung. Ihr Blick konnte erschrecken, aber sie hatte eine Art und eine Ausstrahlung an sich, die selbst mit ihren 44 Jahren, in jedem Mann unweigerlich das Kopfkino einschaltete. Dessen war sie sich bewusst und das war auch ein Grund, warum sie es immer wieder geschafft hatte, auf all ihren Stationen seit der Flucht aus Rumänien, gut zurecht zu kommen. Sie hatte oft genug dafür mit ihrem Körper bezahlt. In Montabaur lebte sie jetzt schon etwas mehr als zwei Jahre, seit sie die Stelle im Jugendheim bekommen hatte. In der Colettstraße 38 bewohnte Nicoletta eine kleine Wohnung im dritten Stock eines mehr oder weniger heruntergekommenen Mehrfamilienhauses. Von ihrem angesparten Geld konnte sie sich inzwischen sogar einen kleinen, schwarzen und betagten Opel Corsa leisten. Die Arbeit machte nicht wirklich Spaß, sie hatte von anderem geträumt, als Teller zu spülen und Essen auszugeben. Aber es war eine gute Gelegenheit die alte Identität langsam in Vergessenheit geraten zu lassen. Danach würde sie weiter sehen. Sie galt als eine gute und verlässliche Kraft. Der Umstand, dass sie aus Rumänien stammte, war ihr bei der Vergabe der Stelle zu Gute gekommen. Schließlich hatten im Jugendheim, einige rumänische Kinder seit über drei Jahren ein neues Zuhause gefunden. Uwe Strombergs Mutter war eine Arbeitskollegin und durch diesen Umstand lernte Nicoletta Uwe näher kennen, der während der Arbeitszeit immer mal in der Küche vorbei schaute. Es war nicht so, dass sie ihn liebte, auf der anderen Seite war er ihr nicht unsympathisch und sie wusste, dass er alles für sie tun würde. Außerdem gab er sich in den gemeinsamen Nächten alle erdenkliche Mühe. Aber ein Mann für eine gemeinsame Zukunft war er bestimmt nicht.
Es war ihre vierte Fahrt nach Achern in den vergangenen zweieinhalb Jahren. Sie konnte sich im Gegensatz zu den meisten Frauen offenkundig auf ihren Orientierungssinn verlassen. Die Fahrt in der Nac ht gestaltete sich bis
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