Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Missbraucht

Missbraucht

Titel: Missbraucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Berk
Vom Netzwerk:
auf einen kleinen, für etwas Aufregung sorgenden Zwischenfall, problemlos. Der Verkehr hielt sich in Grenzen und Nicoletta rechnete damit, dass sie gegen drei Uhr ihr Ziel erreichen würden, vielleicht sogar etwas früher. Sie verfuhr sich nicht einmal und selbst als sie die Bundesstraße verließen, fand sie ohne Schwierigkeiten den Weg. Wenn alles glattging, könnte Baumel schon um vier auf dem Grund des Sees den Fischen Gesellschaft leisten, dachte sie sich. Wer sollte ihn dort jemals finden? Natürlich war ihr klar, dass Fragen gestellt würden, wenn das Verschwinden von Frank Baumel bemerkt wurde. Das war in Deutschland nicht anders als in jedem anderen Land der Welt. Es würde über die übliche Routine hinausgehen, aber wer sollte einen Zusammenhang zu ihr konstruieren? Sorgen machten Nicoletta bei weiterem Nachdenken eher ihre beiden Kumpane. Würden Uwe und Dr. Heb den Befragungen standhalten? Zweifel kamen in ihr auf und mit zunehmender Wegstrecke fragte sie sich, ob es nicht besser wäre, beide aus dem Weg zu räumen. Warum sollten die beiden nicht einem tragischen Unfall zum Opfer fallen? Der Gedanke ließ sie nicht mehr los.

    *

26.02.1987
    Die kleine Nadia, die eingepackt in den Decken schlief, wur de wach und fing an zu schreien. Wahrscheinlich hatte sie Hunger. Mathae schaute hilflos auf sie hinunter, rührte sich ansonsten aber nicht. Ein verwahrlost aussehendes Paar beobachtete die beiden schon minutenlang aus der Entfernung. Als das Mädchen anfing zu weinen, kam die Frau langsam auf sie zu. Sie schaute sich nach allen Seiten um, gerade so, als wollte sie sichergehen, nicht beobachtet zu werden. Dann wanderte ihr Blick wieder zu Mathae und dem kleinen Bündel, das vor ihm auf dem kalten Boden lag. Sie musterte die beiden, anscheinend allein gelassenen Kinder genau. Ihr Augenmerk fiel auf die abgelegten Gepäckstücke und die Umhängetasche des Jungen. Sie schaute sich ein weiteres Mal um. Auf dem großen Platz in Baijush war kaum Betrieb. Die Alte ging auf Mathae zu und schaute den Jungen dabei Furcht einflößend an. Mathae grauste es vor der grauschwarz gekleideten Frau, die wie eine Greisin aussah und in der rechten Hand einen primitiven, selbst gefertigten Gehstock hielt. Er zog sich ein Stück zurück und versuchte den Tragegurt seiner Tasche zu halten. Vergeblich, die Alte war stärker. Bestimmend zog sie dem kleinen Jungen seine Tasche über den Kopf und nahm ihm das Heiligste, was er besaß. Dann beugte sie sich hinunter, griff nach dem Köfferchen und den beiden Jutetaschen. Sie schaute sich erneut nach allen Seiten um und machte sich dann mit all dem Gepäck davon. Mathae sah, wie sie mit all den Habseligkeiten, die ihnen ihre Mutter zurückgelassen hatte, wieder zum Rand des Platzes ging und sich angeregt mit dem großen Mann unterhielt, der rauchend an einer Häuserwand lehnte und das Szenario beobachtete. Ihr Begleiter schaute abwechselnd in die Taschen und zu den Kindern hinüber, dann verschwand er nach kurzem Wortwechsel zusammen mit der Frau, die ihnen alles genommen hatte, in einer Seitenstraße. Das Einzige, was sie den Kindern gelassen hatte, waren ihre Namen, die auf den dünnen Holzplättchen, die sie um ihren Hals trugen eingeritzt waren. Mathae kniff die Augen zusammen, ein Instinkt befahl ihm stark zu bleiben, doch dafür war dieser kleine Bursche dann doch zu schwach. Zu böse hatte ihm das Schicksal an diesem Tag mitgespielt. Seine Tränen fanden ihren Lauf und er weinte still in sich hinein.

    *

17.06.1994
    Der große, mit Schotter befestigte Platz, auf dem sie die Autos abstellten, war in dezentes Mondlicht getaucht und lag vis a vis rückseitig des harmonisch in die Landschaft eingepassten Gebäudes. Auf den letzten zwanzig Kilometern Autobahn hatten Sie aufgrund eines Unfalls in einer schier nie endenden Baustelle viel Zeit verloren. Ein holländischer Lkw hatte ein überholendes Fahrzeug in den Gegenverkehr gedrängt, wo es mit einem Kleinbus kollidierte. Nur der geistesgegenwärtigen Reaktion des Fahrers und des Umstandes, dass um diese Zeit kaum Verkehr herrschte, verdankten es die Insassen der beiden Fahrzeuge, dass niemand ernsthaft zu Schaden kam. Ihre Autos waren allerdings schrottreif. Es dauerte etwas mehr als eine halbe Stunde, bis die herbeigeeilte Polizei einen der auf ihrer Fahrbahnseite liegenden Fahrstreifen, wieder für den nachfolgenden Verkehr freigegeben hatte. Bis dahin verloren sie wertvolle Zeit. Außerdem hatten beide, während dreißig Meter

Weitere Kostenlose Bücher