Missbraucht
Richard warf einen schnellen Blick hinein, niemand drin. Gegenüber auf der linken Seite befand sich eine weitere offene Tür, die ins Wohnzimmer führte. Wieder ein Blick. Fehlanzeige.
Aber aus dem geradeaus liegenden Zimmer, dessen Tür ebenfalls offen stand, hörte er Geräusche. Jemand war dort drinnen zu Gang.
*
29.06.1994
Nicoletta stürmte die Treppe hoch bis zu ihrer Wohnung. Alles muss jetzt schnell gehen. Geld, Papiere und dann weg, dachte sie. Sie schloss auf und drückte die Tür beim Hineingehen nur leicht an. Im Schlafzimmerschrank war alles, was sie suchte. Das Geld, die notwendigen Papiere und ein paar persönliche Schmuckstücke hatte sie in einem kleinen Rucksack verstaut, um jederzeit hier alles aufgeben zu können und Montabaur hinter sich zu lassen. Das war professionell, dass sie die Tür jedoch nicht richtig geschlossen hatte, war ein Fehler! Vielleicht hatte sie bis dahin noch eine Chance zur Flucht gehabt, aber dann wurde ihr ihre weibliche Eitelkeit zum Verhängnis. Sie entschloss sich, praktischere Schuhe und ein frisches Shirt anzuziehen.
Als Richard in das Zimmer trat, stand sie im BH mit dem Rücken zu ihm und war fast fertig umgezogen.
"Frau Tschetschowa!", mehr brauchte Richard nicht zu sagen. Seine Entschlossenheit fand die Adresse. Die beiden standen in einem Abstand von drei Metern voneinander. Für den Augenblick schien es, als hielt die Welt an. Eine unheimliche Stille lag plötzlich über dem Raum.
Nicoletta dachte sofort daran, was sie erwartete. Sie griff vorsichtig nach dem Rucksack und drehte sich langsam um.
Ihr Blick verriet, dass sie wusste, an der Endstation angekommen zu sein. Ihr Lächeln war ein Gemix aus Verachtung, Resignation und Anerkennung. Sie hatte nichts mehr zu verlieren.
"Ich werde sie jetzt verhaften Frau Tschetschowa “, sagte Richard. Dabei schwang die Pistole in seiner Hand leicht hin und her und der triumphierende Unterton war nicht zu überhören.
Der Kommissar war sich zu sicher und hatte sie unterschätzt.
Mit aller Kraft schleuderte sie ihm den Rucksack an den Kopf. Instinktiv nahm Richard die Arme vor das Gesicht und diesen Augenblick wollte die Frau in ihrer Ausweglosigkeit ausnutzen. Gleich einer Raubkatze beim Sprung auf die Beute stürzte sich Nicoletta auf ihn. Der Aufprall warf ihn zurück. Mit dem Rücken knallte er genau auf die Ecke der Türzarge, was ihm für den Moment den Atem nahm. Ihre Faust traf ihn empfindlich auf den Wangenknochen. Ein ganzes Stakkato von Schlägen musste er über sich ergehen lassen, von denen die meisten jedoch wirkungslos waren und wenige andere nur einen kurzen Schmerz verursachten.
Immer noch die Hände schützend über sich haltend, sammelte sich Richard wieder. Mit einem kräftigen Stoß verschaffte er sich Luft und Platz. Im nächsten Moment holte er weit aus und traf Nicoletta mit der Faust genau aufs linke Auge. Sofort stach die Linke hinterher. Volltreffer! Der Schlag, wieder auf das Auge, ließ Äderchen platzten. Richard setzte nach, es schien, als habe er die Kontrolle über sich verloren. Zwei weitere Treffer platzierte er im Gesicht von Nicoletta Tschetschowa und ein Letzter traf ihre Leber. Die Frau, deren Gesicht plötzlich voll mit Blut war, sackte mit großen Augen zusammen. Richard atmete schwer und musste all seinen Willen zusammennehmen, um sich zu beruhigen. Er stemmte die Arme auf die Oberschenkel und betrachtete die Frau, die mit blutigem und langsam zuschwellendem Gesicht vor ihm lag. Über ihre aufgeplatzten Lippen kam nur noch ein leises Röcheln. Ihm fiel Sandra ein und für einen Moment verlor er die gerade wieder zurückgewonnene Kontrolle. Mit ganzer Kraft trat er der Frau mit der Fußspitze in den Leib. Nicoletta zuckte zusammen und krümmte sich vor Schmerzen. Dann hatte er sich endgültig wieder im Griff. Gut, ich hab die Nerven verloren, na und? Hat keiner gesehen, ist eh ein Miststück, dachte er und schaute sich wie zur Bestätigung um.
Er setzte sich neben Nicoletta auf den Boden, als sein Mobiltelefon klingelte. Richard kramte es aus seiner Tasche und sah, dass Mertes anrief. Das passte genau.
"Ich hab sie Paul", meldete er sich, immer noch etwas außer Atem.
"Gut!", antwortete der Polizeidirektor, der inzwischen auf dem Speicher war und vor dem bewegungslosen Körper von Mathae stand. Der inzwischen ebenfalls oben eingetroffene Notarzt versucht zwar sein möglichstes, aber seine dauernde hin und her schüttelnde Kopfbewegung sprach Bände. "Aber ich hab eine
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