Missbraucht
Herr Oberstaatsanwalt.
"Mensch Mees, wo kommen sie denn her", raunte er den Kommissar an.
Richard sah Koepp an, seine Augen wanderten wie ein Scanner von oben nach unten und wieder zurück. Langsam und mit einem verächtlichen Lächeln, das keinem der im Kreis stehenden, entgehen konnte. Sofort war die vorhandene Spannung zwischen den beiden wieder aufgebaut.
"Ihre Täterin können Sie im Krankenhaus interviewen, ich habe sie Ihnen parat gemacht." Diese Art von Eigenlob war ihm zwar völlig zuwider, aber er wusste, dass er damit Koepp treffen konnte.
"Was soll das heißen? Würden sie uns das bitte erklären!", Koepp wurde lauter und deutlich ungehaltener. Dieser Fall sollte sein Triumph werden, und wenn es etwas zu vermelden gab, dann wollte er der Erste sein, der vor die Presse tritt und nicht etwa der Polizeidirektor oder gar dieser versoffene Kommissar. "Also, was gibt es für Neuigkeiten?"
"Frau Tschetschowa ist auf dem Weg ins Krankenhaus, aber sie wird durchaus in der Lage sein, ihnen all ihre Fragen zu beantworten, Herr Oberstaatsanwalt."
Der abfällige Ton, der in Richard Mees Stimme lag, regte Koepp nur noch mehr auf.
"Herr Mees, ich habe sie gefragt und sie haben gefälligst eine vernünftige Antwort zu geben." Für jeden, der auf dem Speicher Anwesenden, war der Wutausbruch Koepps unüberhörbar.
"Wir haben Frau Tschetschowa verhaftet. Sie hat wohl zusammen mit Uwe Stromberg Baumel und den anderen umgebracht. Dann hat sie ihren Geliebten erschossen und hat versucht, Sandra umzubringen. Die Zusammenhänge mit der Tat an Dr. Heb und dem Tod des Jungen kann ich ihnen noch nicht erklären, aber ich denke, dass sie auch dabei die treibende Kraft war. Das wird sie ihnen bestimmt erzählen, Herr Koepp, da bin ich mir sicher."
*
29.06.2012
Koepp nahm alles zur Kenntnis. Innerlich siedete es in ihm. Blitzschnell bilanzierte er Richards Kurzfassung.
Der Fall schien aufgeklärt, das Finale vor so großem Publikum würde den Triumph noch Publicity wirksamer erscheinen lassen. Zufrieden registrierte der Oberstaatsanwalt, dass er einiges auf der Habenseite verbuchen konnte. Der Blick auf den Kommissar, der sich mit beiden Kriminaldirektoren unterhielt, Mertes Kollege Schön, der Chef der Montabaurer Polizeidirektion war natürlich auch anwesend, dämpfte seine Freude etwas. Mit diesem Umstand konnte er angesichts des Ergebnisses allerdings gut leben. Richard Mees werde ich die Grenzen schon sehr bald aufzeigen, dachte sich Koepp und grinste.
Ein Kindersarg wurde hereingetragen. In diesem Moment verstummten die Gespräche, keiner sagte ein Wort. Eine tiefe, fast unheimliche Ergriffenheit füllte plötzlich den Speicher aus. Der Sarg wurde neben Mathaes Leiche abgesetzt.
"Entschuldigung, aber wir brauchen schon noch einen Augenblick", sagte einer der Spurensicherer zu den beiden Sargträgern. Betroffen traten die Herren etwas zurück und warteten ab. Schleichend keimten die Unterhaltungen der Anwesenden wieder auf und nach wenigen Minuten war auf dem Speicher ein kontrolliertes Gewusel im Gang.
"In welches Krankenhaus hat man die Frau gebracht?", fragte Koepp.
"Hier gibt es nur eins", antwortete Hauptkommissar Wagner und deutete mit der rechten Hand die ungefähre Richtung an.
"Okay, dann begleiten sie mich mal! Herr Schön und Herr Mertes, ich fände es hilfreich, wenn sie auch mitkämen." Die Beamten nickten kurz als Zeichen ihrer Bereitschaft. Als Koepp samt Gefolge den Speicher verlassen wollte, griff sich Richard den Arm von Mertes.
"Was ist mit Sandra, wie geht es ihr?"
Der Kriminaldirektor zuckte gleichzeitig mit den Mundwinkeln und seinen Schultern. Sein Kopf wog leicht hin und her.
"Ich weiß noch nichts Genaues Richard. Sie ist wohl außer Lebensgefahr, aber es hat sie böse erwischt."
"Wo ist sie?"
"Sie ist per Hubschrauber ins Bundeswehrlazarett nach Koblenz geflogen worden. Aber du kannst jetzt eh nichts machen, sie operieren sie noch."
"Ich muss zu ihr!"
"Es bringt doch nichts Richard. Du bleibst hier und machst deinen Job, basta! Nachher kannst du immer noch bei ihr vorbeifahren", instruierte Mertes den Kommissar und machte sich zusammen mit Koepp und den Anderen, auf ins Krankenhaus zu Nicoletta Tschetschowa.
Richard wartete solange, bis er sich sicher war, dass der Tross den Tatort verlassen hatte, und wandte sich dann an den nächstbesten Kollegen von der Montabaurer Kripo.
"Ich muss dringend weg, könnt ihr das hier übernehmen?"
"Okay, kein Problem."
Die Treppen zum
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