Missbraucht
Ausgang nahm er im Laufschritt. Nach selber fahren war ihm nicht zumute. Ohne weitere Erklärung setzte er sich in den erst besten bereitstehenden Streifenwagen und trieb den Fahrer an, ihn so schnell wie möglich nach Koblenz zu fahren. Richard hatte Glück, er glaubte, auf einen Klon von Nigel Mansell getroffen zu sein. Es presste ihn förmlich in die Sitze, als der junge Schutzpolizist losfuhr. In einem Höllenritt brachten sie den Weg zur Klinik hinter sich. Beim Aussteigen wies er den Kollegen an, nicht zu warten und stattdessen unverzüglich nach Montabaur zurück zu fahren. Es reichte, wenn er Ärger bekommen würde und bei dem Aufgalopp, der sich oben im Westerwald abspielte, fiel die Abkömmlichkeit des Wachtmeisters vielleicht gar nicht auf. Vom Krankenhaus aus würde Richard sich ein Taxi bis nach Hause nehmen.
Seinen Dienstausweis in der Hand haltend, nahm er die Information im Foyer im Sturm.
Intensivstation! Bei diesem Wort durch fuhr ihn ein fast körperlicher Schmerz. Ein Wort, das Angst macht.
Richard rannte durch die Gänge. Nach zwei Minuten war er beruhigter. Eine der diensttuenden Schwestern hatte ihn mit all ihrer Routine wieder auf ein erträgliches Maß zurechtgestutzt.
Sandra hatte die Operation den Umständen entsprechend gut überstanden und befand sich nun im Aufwachzimmer.
Gut überstanden! Das hörte sich nicht schlecht an. Er konnte seine Emotionen ein Stück weit herunterfahren.
Den Umständen entsprechend! Klang zwar wieder etwas einschränkend, aber Richard wollte sich seinen Grundoptimismus keinesfalls nehmen lassen.
Richard suchte sich einen Platz zum rauchen und hielt Zwiesprache. Er war zwar kein gläubiger Mensch im herkömmlichen Sinne, aber in diesem wichtigen Moment, hielt er es für notwendig, den Verantwortlichen im Himmel kundzutun, dass sie einen Riesenfehler begingen, wenn die Sache mit Sandra irgendwie schiefgehen sollte. Richard sprach mit Gott und zündete sich eine weitere Camel an. Er war gewillt, mit aller Macht um seine Kollegin kämpfen zu wollen. Egal wer in der anderen Ecke des Rings steht. Als er glaubte, seine Argumente stichhaltig vorgebracht zu haben, ging er zur Intensivstation zurück und setzte sich auf einen der Stühle. Dann nickte er ein.
*
29.06.1994
"Herr Polizist! Hallo!", eine freundliche Stimme weckte ihn.
Es war 23 Uhr 15.
"Ja?", Richard klang verschlafen und überrascht. Er brauchte ein paar Sekunden, um die Lage zu sondieren.
"Die Patientin ist aufgewacht, es geht ihr gut. Aber Sie können noch nicht zu ihr. Außerdem dauert es noch ein bisschen, bis die Nachwirkungen der Narkose vorbei sind."
Sandra geht es gut, das ist das Wichtigste. Trotzdem hakte Richard nach.
" Schwester geben Sie mir zwei Minuten. Ich werde sie nicht ansprechen. Ich möchte sie nur kurz sehen und sie spüren lassen, dass ich da bin."
"Es tut mir leid, das darf ich nicht!", man merkte der Krankenschwester an, dass ihr Mitgefühl echt war.
"Machen Sie eine Ausnahme, ich bin Polizist." In besonderen Situationen, auch außerhalb des Dienstes, nutzte Richard die Vorteile der Berufserwähnung hemmungslos aus. Richard warf alles in die Waagschale. Seine Beharrlichkeit und sein Charme zeigten erste Wirkung.
"Warten Sie, ich frag noch einmal den Arzt."
"Lassen Sie mich ihn fragen Schwester. Wo ist er?"
"Kommen sie mit."
Richard folgte ihr. Sie gingen ein Stück den Gang entlang, bis zu einer improvisierten Küche, in der insgesamt fünf Mitglieder der Ärzteschaft und des Pflegepersonals beim Kaffee zusammensaßen.
"Entschuldigen Sie Doktor Ziemer, aber der Herr hier ist von der Polizei und möchte Sie gerne sprechen", wandte sich die Krankenschwester etwas kleinlaut an einen der beiden anwesenden Ärzte. Doktor Ziemer war ein recht jung aussehender, tiefen gebräunter und ganz in strahlendem Weiß, gekleideter Mann, fast wie einer aus den Fernsehserien, die seine Frau immer gesehen hatte. Der Kommissar musterte ihn mit kritischem Blick und stellte für den ersten Moment, aufgrund des jungenhaften Aussehens dessen fachliche Kompetenz infrage. Der Arzt nickte ihm zu, stand auf und wies mit einer einladenden Handbewegung wieder Richtung Gang.
Richard stellte sich vor und kam ohne Umschweife zur Sache.
"Herr Doktor, kann ich Frau Götze sehen, es ist wichtig!"
"Nein, es macht keinen Sinn. Sie ist nicht ansprechbar und ich bezweifele, ob sie sie überhaupt wahrnimmt. Kommen sie morgen wieder, dann sieht die Sache anders aus."
Es fiel Richard schwer sich
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