Missbraucht
davon wurde ihr zurückgezahlt, dachte sie oft, wenn sie abends allein im Bett lag und den Tag Revue passieren ließ. Dann fehlte ihr Martin, um mit ihm darüber zu sprechen, so blieb alles an ihr hängen. Das Problem konnte man nicht mal kurz am Telefon bereden. Dann hieß es immer: ... das renkt sich alles ein und wird schon. Du musst ihnen etwas Zeit lassen, hab Geduld. Martin hatte gut reden, er war 400 km weit weg.
Nadia und Mathae wirkten immer in sich gekehrt, verstört und manchmal bis an Ursulas Schmerzgrenze völlig teilnahmslos. Es war brutal für die junge Frau, die so gerne eine gute und liebevolle Mutter für sie werden wollte. Manchmal hatte sie das Gefühl, sie existierte gar nicht für die Kinder. Dies tat ihr unheimlich weh. Der Aufenthalt im Waisenhaus von Cesereau hatte gereicht, um die Kinder fürs Leben zu schädigen. Die emotionale und soziale Zuwendung, die Ursula ihnen geben wollte, prallte ab wie von einer Mauer. Sie bekam trotz ihrer aufopferungsvollen Bemühungen nichts zurück.
Ursula Stolzenfels verdammte den Entschluss, die Kinder aufzunehmen immer häufiger und fühlte sich von ihrem Mann wohl zu Recht, in dieser schwierigen Situation allein gelassen. Die wenigen Versuche mit ihm darüber zu sprechen, wischte er mit dem Hinweis auf ihre noch nie besser gewesenen finanziellen Aussichten vom Tisch.
Martin verdiente gut im Osten. So gut, dass er sich sogar ein kleines Verhältnis mit einer der Auszubildenden leisten konnte. Als die junge Frau am 4. März Ursula anrief und ihre Liebe zu Martin offenbarte, war es um ihre Fassung endgültig geschehen. Sie fühlte sich unendlich allein und verraten. Nach einer Flasche Rotwein sah die völlig überforderte Frau keinen anderen Ausweg mehr, als sich das Leben zu nehmen. Ihre Schwiegermutter fand sie am nächsten Morgen leblos in der Badewanne liegend und alarmierte sofort den Notarzt. Ursula Stolzenfels hatte Glück und überlebte ihren Suizidversuch ohne körperliche Nachwirkungen.
Vier Tage später kamen Nadia und Mathae durch Vermittlung der Sozialbehörden im Jugendheim Montabaur unter. Martin sah keinen anderen Ausweg mehr und hatte sich aus seiner verzweifelten Ratlosigkeit heraus, an die zuständige Stelle der Verbands-gemeindeverwaltung Ransbach gewandt.
Die Belegschaft des Hauses in Montabaur, die oft alles andere als rücksichtsvoll miteinander umging und allgemein als schwer erziehbar galt, begegnete ihnen sonderbarerweise Weise von Beginn an sehr freundschaftlich und respektvoll. Zu Beginn ihres Aufenthalts teilten sich die beiden ein Zimmer, was ein pädagogisch cleverer Schachzug von Dr. Friedhelm heb war. Der Heimleiter engagierte sich über Gebühr für die beiden. Im Heim lebten zurzeit weitere zwei Mädchen und ein Junge aus Rumänien. Die Kinder waren für das Image der Einrichtung ein Gewinn. Die Rheinzeitung, die regelmäßig über das Jugendheim berichtete und die zusammen mit ihren Mitarbeitern eine Patenschaft für die rumänischen Kinder übernommen hatte, schrieb in einem Artikel voller Pathos von der Odyssee der beiden Kinder. Aus diesem Anlass wurde ein Interview mit der Heimleitung, dem Landrat und mit Herrn Frank Baumel, der als großer privater Mäzen auftrat, veröffentlicht.
Nach drei Monaten bemerkte Dr. Heb eine Entwicklung bei dem Jungen. Mathae fasste ein Stück weit Vertrauen. Heb verbuchte es als großen Erfolg.
*
23.06.1994
Schöne Scheiße ging es Dr. Heb durch den Kopf. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass früher oder später die Kripo auftauchen und Fragen stellen würde, aber wenn man damit konfrontiert wird, ist es plötzlich mehr als nur ein mulmiges Gefühl. Der Doktor rief Uwe Stromberg über das Haustelefon zu sich. Sie mussten alles noch einmal durchgehen und genau überlegen, was in der Angelegenheit zu tun war.
Es dauerte keine zehn Minuten, bis Uwe bei ihm im Büro saß.
"Eben war die Polizei hier und hat allerlei Fragen gestellt, jetzt müssen wir aufpassen. Ich denke, in den nächsten Tagen werden sie dich verhören, also denk daran, was wir besprochen haben und werde bloß nicht nervös", klärte Dr. Heb ihn über den Besuch der Kriminalbeamten auf. Uwe nickte, er wusste, dass es nun ernst wurde.
"Weiß Nicoletta schon Bescheid?", fragte er.
"Nein, die waren gerade erst hier und sind jetzt auch wieder weg, aber ich nehme an, dass sie morgen, spätestens übermorgen wieder auftauchen. Haben wir an alles gedacht oder fällt dir noch was ein?"
"Es ist alles Okay. Wir
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