Missbraucht
dass hier jemand etwas gesucht hatte und aus welchen Gründen auch immer, die Wohnung so verlassen hatte, dass es , wie nach einem Einbruch aussah. Der Blick ins Schlafzimmer bestätigte den Verdacht.
Frau Stromberg hielt sich erschrocken die Hände vor den Mund. Hier sah auch ein Laie, dass etwas nicht stimmte. Der Kleiderschrank war zum Teil ausgeräumt und die Wäsche war sorgfältig auf dem Bett platziert worden. Ein anderer Teil war einfach durchwühlt. "Mein Gott", kam es Frau Stromberg über die Lippen.
Richard sagte gar nichts. Er hatte die Lippen zusammengekniffen und die Stirn lag in Falten. Seine Augen waren nur noch Sehschlitze. Wenn Nachdenken bildlich dargestellt werden müsste, ein Foto vom Kommissar hätte gereicht. So sah er immer aus, wenn er nachdachte und kombinierte.
"Okay! Ruf die Kollegen, Sandra", es schien als hätte Richard der Ehrgeiz gepackt.
Sandra tippte die Durchwahl von Hauptkommissar Wagner in ihr Mobiltelefon und informierte ihn über den vorgefundenen Sachverhalt.
"Okay, Frau Götze, ich komme mit den Kollegen rüber", diese Entwicklung wollte Wagner persönlich in Augenschein nehmen. Sie steckte ihr Diensttelefon wieder ein und wandte sich an Frau Stromberg: "Wann waren Sie zuletzt hier, Frau Stromberg?"
"Am Abend, als Herr Baumel das letzte Mal gesehen worden ist." Man merkte ihr an, wie sehr sie die Sache mitnahm, und hätte meinen können, in ihrer Wohnung wäre eingebrochen worden und nicht in die von Frank Baumel. Richard schaute sich derweil weiter im Haus um. Sein Interesse galt in erster Linie den Fenstern, irgendwie musste der oder die Täter schließlich hereingekommen sein, oder aber ...
"Frau Stromberg, wer außer Ihnen hat noch einen Schlüssel?" der Kommissar hatte seinen ersten Rundgang beendet.
"Das weiß ich nicht.", sie schüttelte den Kopf.
"Denken Sie mal nach."
Sie schüttelte wieder den Kopf.
"Das war er nicht selber, da wette ich drauf", der Kommissar schien mit sich selbst zu reden.
"Was meinst du Richie?" Sandra hatte ein paar Gummihandschuhe aus ihrer Tasche gezaubert und untersuchte die Kommode im Flur. Karin Stromberg stand indessen wie versteinert in der Tür zum Schlafzimmer..
"Na ja, es könnte doch sein, dass Baumel sein Verschwinden aus irgendeinem Grund selbst inszeniert hat."
"Warum sollte er?"
"Was weiß ich, vielleicht war er pleite, keine Ahnung."
Richard nahm Sandra am Arm und flüsterte ihr zu: "Wie das so aussieht, wird das eine längere Sache hier. Ich fahre noch mal gerade zum Kiosk, ich hab Brand. Willst du auch was?"
Sandra sah ihn entgeistert an: "Du hast sie doch nicht alle!"
"Gib mir den Schlüssel Mädel!"
Sandra gab ihm den Schlüssel und schüttelte den Kopf.
"Ich bring dir eine Cola mit", sagte Richard beim Hinausgehen und zündete sich eine Camel an.
*
23.05.1990
Als der rumänische Staatspräsident Nicolae Ceausescu zusammen mit seiner Frau Elena, Weihnachten 1989 bei einem Fluchtversuch gefangen genommen wurde, kamen beide umgehend vor ein Militärgericht. Im Schnellverfahren wurden sie zum Tode verurteilt und unverzüglich hingerichtet. Die Securitate leistete zwar noch Widerstand, aber zwei Tage später galt die rumänische Revolution als erfolgreich beendet. Sofort machten erste Informationen über das Schicksal, der mehr als 100000 verwahrlosten und oft in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen Kinder in den Waisenhäusern des Landes die Runde.
Im Frühjahr 1990 drangen zunehmend mehr Berichte und Details über die Zustände in den rumänischen Kinderheimen an die Weltöffentlichkeit. Der größte Teil der Bevölkerung des geschundenen Landes erfuhr erst jetzt die schreckliche Wahrheit, wie das Regime Ceausescu in seinem blinden Wahn mit den vergessenen Kindern des Landes umgegangen war. Für die Verantwortlichen waren die Heime ein "Ort vorbildlicher Erziehung", für die Insassen die Hölle. Selbst die schlimmsten Einrichtungen, wie der berüchtigte und zum Symbol gewordene Kinder-Gulag Cighid, wo die ausgehungerten Kinder völlig apathisch dem Tod entgegen dämmerten, wurden von den Schergen der kommunistischen Regierung gefördert. Völlig allein gelassen und vergessen, starben in diesem Heim 139 Kinder an Hunger und Kälte einen jämmerlichen Tod.
Natürlich waren nicht alle Kinderheime und Waisenhäuser solche Todeslager wie Cighid, aber Lebensumstände, die zivilisierten, menschlichen Standards entsprachen, waren in keiner dieser Einrichtungen vorzufinden.
Als die Bilder um die Welt gingen,
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