Missgeburt
Heimat versprochen«, wandte sich Bernardi wieder seinen Begleitern zu, als sich der Koch verabschiedete und in die Küche verschwand. »Er meint, wir werden es bestimmt nicht bereuen.«
»Nachdem wir uns schon so lange vorgenommen haben, mal alle gemeinsam essen zu gehen, freut es mich umso mehr, dass es heute endlich geklappt hat.« Samuel hob sein Weinglas, und alle stießen miteinander an.
Ein Kellner trug zwei Platten mit Antipasti auf, und Bernardi signalisierte dem Wirt, dass er ihnen, was den Wein anging, nicht zu viel versprochen hatte. Samuel notierte sich sogar seinen Namen. Dann machten sie sich über die köstlichen Vorspeisen mit Mortadella, Salami und Peperoni her, unterhielten sich gut
gelaunt zu den Klängen der dezenten Xylophonmusik und genossen die gemütliche Atmosphäre.
Zu Samuels Freude war Blanche schon den ganzen Abend auffallend zugänglich, und er begann sich bereits Hoffnungen zu machen, vielleicht doch noch bei ihr landen zu können, wenn er sie nach dem Essen nach Hause begleitete.
Aber dann ließ Vanessa die Bombe platzen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Zwerg irgendjemanden umgebracht hat«, erklärte sie unvermittelt. »Ich glaube, ihn inzwischen ganz gut zu kennen, denn ich habe mich recht ausführlich mit ihm unterhalten, und zwar keineswegs nur über Religion. Inzwischen bin ich fest davon überzeugt, dass er niemandem etwas zuleide tun könnte; er ist nur ein zutiefst einsamer und bedauernswerter kleiner Mann.«
»Wie kommst du denn auf so etwas?« Bernardi fiel aus allen Wolken.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, meldete auch Samuel sofort seine Bedenken an. »Es gibt eine ganze Reihe von Indizien, die keinerlei Sinn ergäben, wenn er sich nicht einige äußerst zweifelhafte Dinge hätte zuschulden kommen lassen.«
»Genau das meine ich doch«, sagte Vanessa. »Er könnte durchaus einige fragwürdige Dinge getan haben. Aber nur, weil er etwas eigenartig ist, und nicht, weil er kriminell ist. Bruno erzählt mir immer alles, was es an neuen Erkenntnissen zu dem Fall gibt.« Der Lieutenant senkte verschämt den Blick, als Vanessa ihn ansah. »Und ich finde, man muss bei alldem immer die Schwächen des Manns berücksichtigen. Selbst seine Sexsucht halte ich eher für krankhaft.«
»Sex mit Minderjährigen ist ja nun nicht gerade ein Kavaliersdelikt«, sagte Samuel in sarkastischem Ton.
»Selbst wenn ihr ihm das tatsächlich nachweisen könnt, heißt das noch lange nicht, dass er auch einen Mord begangen hat. Außerdem bin ich sicher, dass euch das nicht gelingen wird. Den Mädchen wäre es bestimmt viel zu peinlich, zuzugeben, dass
sie sich von einem Zwerg haben verführen lassen, und die Leute von der Gewerkschaft werden euch dabei sicher auch nicht helfen.«
»Du kannst dir also nicht vorstellen, dass er in der Lage sein könnte, Octavio zu zerteilen und dann Stück für Stück verschwinden zu lassen?«, fragte Samuel.
»So etwas traue ich ihm eindeutig nicht zu«, erklärte Vanessa bestimmt. »Ich finde eher, ihr solltet nach einem abartig veranlagten Menschen Ausschau halten, der so etwas früher schon mal getan hat.«
»Du meinst also, wir sollen nach einem ganz normalen Bürger suchen, der angeklagt ist, andere Bürger zerstückelt zu haben, und sich im Moment auf Kaution auf freiem Fuß befindet?«, fragte Samuel zynisch.
»Du weißt ganz genau, was ich meine«, konterte Vanessa säuerlich.
»Und wie sieht es mit der Hexe aus?«, fragte Samuel, nun wieder vollkommen ernst.
»Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass sie ihm mit ihren magischen Praktiken geholfen hat, aber umgekehrt ist sie auch nicht auf den Kopf gefallen. Sie würde sich nie an der Ermordung eines anderen Menschen beteiligen. Dabei hätte sie viel zu viel zu verlieren. Sie weiß nur zu gut, wie viel Geld sie mit ihrem Hokuspokus bei den Latinos machen kann.« »Und wenn sie ihm versehentlich geholfen hat, den Jungen zu ermorden?«
»Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Wie gesagt, dafür ist sie viel zu clever. Sie weiß ganz genau, welche Dosis von diesem Kraut nötig ist, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Selbst wenn jemand mehr von ihr gewollt hätte, hätte sie ihm nicht so viel gegeben.«
»Dann hat sie uns also, was das Bilsenkraut angeht, nicht die Wahrheit gesagt?«
Vanessa massierte sich eine Weile nachdenklich die Stirn, bevor
sie nickte. »Ganz so sieht es jedenfalls aus. Und das Gleiche dürfte auch für das Akonit gelten. Diese beiden Punkte könnt
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