Missgeburt
ihr Dominique wahrscheinlich anlasten. Die Frage ist allerdings, für wen das Bilsenkraut wirklich bestimmt war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Octavio für Sara haben wollte. So etwas passt eigentlich nicht zu ihm. Dafür war er zu sehr Macho, wenn ihr wisst, was ich meine. Ich bin sicher, dass der Prediger derjenige war, der Sara mit Hilfe des Krauts zu verführen versucht hat.«
»Das würde auch dazu passen, dass ich die Puppe in seiner Garderobe gesehen habe«, sagte Samuel.
»Na großartig!«, meinte Bernardi. »Was können wir dann, mal abgesehen von dem, was du gesehen hast und womit wir den Durchsuchungsbeschluss beantragt haben, überhaupt noch beweisen? «
»Zunächst müsst ihr vor allem Sara finden«, erklärte Vanessa.
»Glaubst du, sie ist noch am Leben?«, fragte Blanche erstaunt.
»Ich vermute es. Wahrscheinlich hält sie sich in Mexiko versteckt. «
»Und wo da genau?«, fragte Samuel.
»Das ist die große Frage. Strengt mal eure Hirnkästen ein bisschen an und versucht, sie und diesen perversen Unbekannten zu finden.«
Vanessas Worte versetzten Bernardi und Samuel in eine nachdenkliche Stimmung, und den Rest des Abends verbrachten sie damit, das vorzügliche Essen zu genießen. Als sie mit den Antipasti fertig waren, kam eine riesige Schüssel mit Kalbfleisch-Cannelloni in Sahnesoße, die sie mit einer zweiten Flasche George La Tour Cabernet herunterspülten. Als es Zeit für den Nachtisch wurde, tischte ihnen der Küchenchef eine Zabaglione aus Marsala-Wein mit frischen Himbeeren auf.
Nach dem Essen schlenderten sie ein paar Türen weiter ins El Matador, um dort ein wenig Jazz zu hören. Barnaby Conrad,
der Besitzer der stilvollen Bar, war ein bekannter Maler, der außerdem in Spanien unter dem Namen El Niño de California als Torero auftrat und deshalb fast jeden Abend Stierkampffilme zeigte. Da er außerdem gute Kontakte zur Filmszene hatte, waren immer wieder Hollywoodstars unter seinen Gästen. Als die vier das Lokal betraten, stach ihnen als Erstes der riesige ausgestopfte Stierkopf über der Bar ins Auge, und in einer gläsernen Voliere hielt MacGregor Hof, der Papagei des Barbesitzers. Miles Davis, der im Blackhawk in der Tenderloin mit seiner neuen Band gastierte, hatte gerade seinen freien Abend und war ins Matador gekommen, um mit dem Hauspianisten John Cooper, einem alten Freund, zu spielen. Miles hatte seinen Drummer mitgebracht, den blutjungen Tony Williams, der erst wenige Wochen zuvor zu Miles’ Combo gestoßen war, sowie den Bassisten Ron Carter. Die vier Freunde blieben, bis die Bar um zwei Uhr schließen musste, und genossen hinreißende Darbietungen von »Basin Street Blues« und »My Funny Valentine«. An diesem Abend waren sie sich einig, dass Miles Davis’ Stern auch in der neuen Besetzung noch lange Zeit am Jazz-Himmel funkeln würde.
Nachdem die vier ein letztes Mal auf ihre Freundschaft angestoßen hatten, brachte Samuel Blanche im Taxi nach Hause. Als er sie zur Tür begleitete, schlang sie plötzlich die Arme um ihn und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. »Du bist ein echter Schatz, Samuel«, flötete sie. »Viel Erfolg bei deiner Suche nach Sara und dem Perversen.« Samuel hätte der Sinn nach mehr gestanden, aber Blanche war bereits nach drinnen verschwunden und hatte die Tür hinter sich zugezogen.
Mit weichen Knien kehrte Samuel zum Taxi zurück, und während der Fahrt nach Chinatown fasste er immer wieder an seine Lippen und fragte sich, ob er wie durch ein Wunder doch noch bei Blanche landen könnte.
Am nächsten Morgen fuhr Samuel in die Rechtsmedizin, um sich noch einmal alle Fundstücke im Fall Octavio Huerta genauer anzusehen. Der Coroner stellte ihm dafür ein Besprechungszimmer zur Verfügung und ließ ihn, um die Beweismittelkette nicht zu unterbrechen, die ganze Zeit von einem seiner Mitarbeiter beaufsichtigen. Samuel brauchte eineinhalb Stunden, um den gesamten Inhalt der Mülltonne sowie alles, was in ihrer Umgebung auf dem Boden gelegen hatte, durchzusehen. Trotzdem musste er sich am Ende eingestehen, dass er hierbei nur seine Zeit verschwendete.
Anschließend studierte Samuel mit einer Lupe die Fotos der Sägespuren an Octavios Oberschenkelknochen und machte sich dabei eifrig Notizen. Die Gipsabgüsse der Fußabdrücke hingegen waren erst einmal nutzlos, solange er nicht die Fußabdrücke eines Verdächtigen hatte, mit denen er sie vergleichen konnte. Als er sie unter dem Vergrößerungsglas studierte, stellte er jedoch fest,
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