Missgeburt
Mission Street war, nahm Samuel den Oberleitungsbus zur Twenty-fourth Street. Von dort ging er zu Fuß zu dem Haus in der Bartlett Street, in dem Schwartz wohnte, stieg die Treppe in den zweiten Stock hoch und klingelte an der Wohnungstür, aber niemand öffnete ihm. Nachdem er es mehrmals versucht hatte, ging er wieder nach unten und klopfte bei der Hausmeisterin. Die abgearbeitete Frau hatte kurzes graues Haar und trug ein verwaschenes Schürzenkleid.
»Wir haben schon drei Tage nichts mehr von Dusty gehört«, sagte Samuel, als wäre er ein Freund des Predigers. »Er arbeitet bei uns, und wir machen uns langsam Sorgen um ihn.«
»Er hat am Samstag eine Party gefeiert«, antwortete die Hausmeisterin. »Aber gegen Mitternacht sind alle Gäste gegangen. Seitdem habe auch ich nichts mehr von ihm gehört oder gesehen. «
»Könnten Sie mir vielleicht die Wohnungstür aufschließen?«, fragte Samuel.
»Wenn er die Kette vorgelegt hat, kommen Sie nicht rein, ohne
etwas kaputt zu machen. Werden Sie für den Schaden aufkommen? «
»Selbstverständlich«, antwortete der Reporter. »Wenn die Kette vorgelegt ist, müsste er ohnehin in der Wohnung sein und ist vielleicht krank oder verletzt. Sehen wir einfach mal nach.«
Sie stiegen die Treppe zu der Wohnung im zweiten Stock hinauf. Das Haus war alt, aber gut in Schuss. Der hellgraue Läufer auf der Treppe war sauber und gepflegt, hatte aber schon bessere Zeiten gesehen. Die Hausmeisterin schloss die Wohnungstür mit dem Hauptschlüssel auf. Die Tür ließ sich etwa zehn Zentimeter weit öffnen; so lang war die Kette.
»Tut mir leid, aber das muss jetzt sein.« Samuel drückte so lange gegen die Tür, bis die Kette aus der Halterung gerissen wurde. Im Türrahmen blieb ein hässliches Loch zurück.
In der Diele war es dunkel, aber im Wohnzimmer brannte Licht. Samuel war nie in der Wohnung des Zwergs gewesen und kannte sie nur von Bernardis Beschreibungen. Die Einrichtung wirkte geschmackvoll und gediegen. Die Möbel und die Aquarelle an den Wänden machten einen teuren Eindruck, und die Bücherregale aus Mahagoni waren voll mit Büchern. Offensichtlich las der Prediger viel, denn auch auf dem Fußboden türmten sich Stapel von Büchern. Musik schien er ebenfalls zu lieben: Neben dem Schrank, der die umfangreiche Plattensammlung des Predigers enthielt, befand sich die exzellente Stereoanlage mit Thorens-Plattenspieler, nagelneuem McIntosh-Verstärker und eindrucksvollen Altec-Lansing-Lautsprechern. Über einen englischen Chesterfield-Ledersessel war achtlos ein Smoking geworfen. Daneben stand eine Leselampe. Auf der anderen Seite des Zimmers war ein gemütliches Ledersofa mit einem kleinen Couchtisch davor.
Erstaunlicherweise deutete in der Wohnung nichts darauf hin, dass dort vor kurzem eine Party gefeiert worden war, aber durch die geschlossene Tür, vor der Samuel jetzt stand, drang ein eigenartiger Geruch.
Von bösen Vorahnungen beschlichen, griff der Reporter nach der Klinke. Als er die Tür, die in einen kurzen Flur führte, öffnete, konnte er nur entsetzt »O Gott!« flüstern.
Vom Türstock des Schlafzimmers am Ende des Gangs hing der Zwerg. Unter ihm lag ein umgestürzter Barhocker.
Samuel brauchte eine Weile, um sich von dem Schock zu erholen. Dann ging er langsam zu der Leiche. Sie fühlte sich eiskalt an, und der mit dem durchdringenden Gestank menschlicher Ausscheidungen vermischte Verwesungsgeruch war fast unerträglich. Wie unter Schock ging Samuel zurück zur Hausmeisterin und bat sie, sofort von ihrer Wohnung aus die Polizei zu verständigen. Dann griff er nach dem Telefon im Wohnzimmer des Predigers und rief Bernardi an.
Samuel wusste, dass er an einem Tatort nichts mit bloßen Händen anfassen durfte. Deshalb nutzte er die Zeit bis zu Bernardis Eintreffen, um mit einem Taschentuch alle Schubladen im Schlafzimmer des Toten zu öffnen. In einer von ihnen fand er einen an Schwartz adressierten Brief. Samuel notierte sich den Namen des ihm unbekannten Absenders; die Adresse war ein Postfach in El Paso, Texas. Eine Wand des Zimmers war voll mit gerahmten Fotografien, aber Samuel war so mit der Durchsuchung der Kommode beschäftigt, dass er nicht dazu kam, sie sich genauer anzusehen.
Wenig später traf Bernardi mit seinem Team ein. Als der Polizeifotograf die Leiche und den umgekippten Barhocker aus allen Blickwinkeln aufgenommen und die Spurensicherung die Untersuchung des Fußbodens unter dem Toten abgeschlossen hatte, traf auch der Coroner ein. Er
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