Missgeburt
schließlich anfangen. Übrigens, kann ich hier irgendwo etwas zu trinken kaufen?«
»Natürlich. Die Getränke finden Sie dort hinten.«
Samuel ging in den hinteren Teil des Ladens und kam mit einer Flasche Limonade zurück, die ihm die Frau öffnete. Dann zog er sich zurück, um seinen Durst zu löschen und Mrs. Rodríguez ein paar andere Kunden bedienen zu lassen. Als er wieder an den Ladentisch zurückkehrte, legte er das Geld für die Limonade und das Steak auf die Theke und fragte: »Werden Sie mir helfen?«
»Das muss ich mir erst überlegen.«
»Was könnte ich tun, um Ihnen die Entscheidung etwas zu erleichtern? «
»Was das angeht, muss ich Sie leider enttäuschen, Mr. Hamilton. So einfach geht das bei uns Mexikanern nicht, auch wenn Gringos dafür kein Verständnis haben. Wenn ich zu der Überzeugung gelange, dass ich Ihnen vertrauen kann, werde ich Ihnen helfen. Kommen Sie in ein paar Tagen noch einmal her, dann erhalten Sie meine Antwort.« Dabei lächelte sie zwar höflich, aber ihre entschlossene Miene verriet Samuel, dass sie sich nicht umstimmen ließe.
»Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden. Ich muss mich auch noch um meine anderen Kunden kümmern, Mr. Hamilton … Sí, señora. Pase adelante. « Sie winkte der ersten Frau in der Schlange hinter Samuel zu, die geduldig gewartet hatte.
3 DUSTY SCHWARTZ
E s hatte den Nachmittag über in Strömen geregnet, die feuchten Bürgersteige spiegelten die Silhouetten der vorbeihuschenden Passanten. Als Dusty Schwartz kurz vor neunzehn Uhr die San Antonio Charismatic Catholic Church in der Army Street im Mission District betrat, war diese bereits fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gemeinde setzte sich überwiegend aus Latinos zusammen. Direkt neben dem Altar spielten zwei Männer auf ihren Gitarren mexikanische Lieder, und ein Anheizer brachte die Gemeinde in Stimmung. Der von wildem Stampfen begleitete Gesang war so laut, dass Dusty sich die Ohren zuhielt. Er hatte gehört, dass Alejandro Galo, der gegenwärtig als bester Laienprediger der Bay Area galt, jeden Mittwochabend in der San Antonio Church einen Gottesdienst hielt. Und Dusty Schwartz wollte ebenfalls Prediger werden, deshalb war er hier. Er fand in der hintersten Reihe einen der letzten freien Plätze in der Kirche und stellte sich auf die Bank, um Mr. Galo, der gerade die Kanzel betrat, besser sehen zu können. Der bekannte Prediger war großgewachsen und stand sehr aufrecht da. Mit seinem tiefschwarz gefärbten Haar und dem maßgeschneiderten schwarzen Anzug gab er eine eindrucksvolle Erscheinung ab, bevor er auch nur ein einziges Wort gesprochen hatte. Als er sich schließlich auf Spanisch an die Gemeinde wandte, schlug seine tiefe, sonore Stimme, die auch ohne Mikrophon bis in die hinterste Ecke der Kirche schallte, seine Zuhörerschaft sofort in
ihren Bann. Dusty Schwartz, der mütterlicherseits Mexikaner war und deshalb fließend Spanisch sprach, hörte ihm aufmerksam zu.
Zunächst setzte sich der Prediger damit auseinander, wie wichtig es sei, Vertrauen in Gott zu haben, und schilderte die Gefahren, die drohten, wenn man den Glauben verlor. Je länger er sprach, desto lauter und eindringlicher wurde seine Stimme. Nachdem er die Bedeutung des Glaubens zur Genüge herausgestrichen hatte, kam er auf die Wunder zu sprechen, die einem tiefreligiösen Menschen fast täglich widerfahren konnten. Immer mächtiger schallte die Stimme des Predigers durch die Kirche, als sich seine Ansprache schließlich in einem mitreißenden Crescendo ihrem Höhepunkt näherte und er den Gläubigen mit eindringlichen Gesten in Aussicht stellte, dass sich der Himmel auftun würde und sie dort Aufnahme fänden und an Gottes Seite Platz nehmen könnten. Die Predigt riss seine Zuhörer derart mit, dass sie in ekstatischen Jubelgesang ausbrachen.
Dusty war ebenso fasziniert wie neidisch. Ganz besonders jedoch neidisch. Hier hatte er einen wahren Meister seines Fachs vor sich. Er wollte dem Erfolgsgeheimnis Alejandro Galos unbedingt auf die Spur kommen und beschloss, keine Gelegenheit auszulassen, sich die Predigten des Mannes anzuhören und von ihnen zu lernen.
Das laute Stampfen und die entrückten Halleluja-Rufe gingen mit unverminderter Lautstärke weiter, als der Prediger die Kanzel verließ und die zwei Gitarristen wieder zu spielen begannen. Dann wurde es Zeit für die Kollekte, und mehrere Helfer gingen mit Spendenkörben die Bankreihen entlang.
Unter den Sammlern befand sich auch
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