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Missing Link

Missing Link

Titel: Missing Link Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walt Becker
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Ist jemand zu Hause?«
    »Entschuldige.« Fasziniert beobachtete Jack zwei ältere Indianerinnen in der Nähe. Sie hatten ihre weiten Röcke, die so genannten polleras, bis zu den Knien hochgezogen und ließen ihre trockenen, schwieligen Beine sehen. Die Frauen kamen aus dem Hochland. Sie sprachen schnell miteinander, während sie leuchtend rote Pullover bestickten. Die feine Wolle der nahezu ausgestorbenen Vicuna, einer Kamelart, rutschte anmutig durch ihre Hände.
    »Dein umherschweifender Blick kennt keine Grenzen.«
    »Sie sprechen Aymara.« Er lauschte dem klangvollen Wechselspiel, als wäre es eine Symphonie.
    »Na und? Die Aymara-Indianer sprechen Aymara«, sagte sie. »Was beeindruckt dich daran so?«
    »Manche halten sie für die älteste Sprache der Welt.«
    »Ich wusste nicht, dass du auch Linguist bist.«
    »Bin ich auch nicht. Ich lese darüber. Ivan Guzman de Rojas - erinnerst du dich an ihn?«
    Der Name kam Samantha bekannt vor. »Ein Mathematiker, stimmt’s?«
    »Ein Computerspezialist aus Bolivien. Er hat Mitte der achtziger Jahre ein paar Sachen veröffentlicht.« Jack setzte sich auf. »Ich habe immer gedacht, dass sich noch Spuren der alten Zivilisation von Tiahuanaco in der Sprache der örtlichen Einwohner finden lassen müssten. Dann las ich Guzman de Rojas. Er entdeckte etwas weit Faszinierenderes als das mögliche Alter des Dialekts. Es scheint, dass Aymara eine vollkommen >künstliche< Sprache ist. Eine, die extra entworfen wurde.«
    »Klär mich auf, Jack, das ist nicht mein Terrain.«
    Jack machte leicht frustriert eine Pause. Die Tatsache, dass sich die meisten Paläontologen kaum mit der Linguistik beschäftigten, war für ihn genau der Grund, dass sich die Wissenschaft immer noch im tiefsten Mittelalter befand. Man müsste sich mit Linguistik, Astronomie, Archäologie und Mathematik auskennen. Die einzige Methode zu einem umfassenden Verständnis war, die Rätsel der Vergangenheit mit Hilfe all dieser Wissenschaften zu lösen.
    »Rojas entdeckte, dass die Aymara-Sprache über eine künstliche Syntax verfügt.«
    »Und das heißt?«
    »Grundsätzlich heißt das, dass die extrem straffe Struktur so unzweideutig ist, dass sie synthetisch zu sein scheint. Absolut >künstlich<, Samantha - in einem Ausmaß, das in normalen >organischen< Sprachen bisher nicht gefunden wurde«, erklärte er begeistert. »Meistens entwickelt sich eine Sprache über eine lange Zeit hinweg. Aymara sieht aus, als wäre sie von Grund auf entworfen worden.«
    »Du meinst, man hat sie sich in einem Rutsch ausgedacht?«
    »Die Sprache entwuchs nicht einer linguistischen Kindheit. Sie war >geschaffen<. Und ihre Syntax ist mathematisch.«
    »Mathematisch?«
    »Hast du schon vom Aymara-Algorithmus gehört?«
    »Ah, deswegen kam mir Rojas so vertraut vor ...«
    »Aymara lässt sich ganz leicht in einen Computer-Algorithmus umwandeln - Rojas nannte ihn den >Aymara- Algorithmus<.« Jack lächelte.
    »Aber wozu brauchte ein altes Volk einen ComputerAlgorithmus?« Ihre gekräuselten Augenbrauen zeigten Jack, dass sie ihm folgte.
    »Der Algorithmus wird als Brückensprache verwendet. Die Sprache eines Originaldokuments kann in Aymara übersetzt und dann in alle anderen Sprachen zurückübersetzt werden. Aymara ist wie ein fertiges Übersetzungsprogramm. Linguisten halten es für unschätzbar.«
    »Eine künstliche Sprache mit einer computerfreundlichen Syntax - entwickelt am selben Ort, den uns das Hologramm gezeigt hat ...« Samantha beugte sich vor. »Denkst du, was ich denke?«
    Jack bemerkte die Leidenschaft in ihren Augen. »Ja«, gab er zur Antwort, kaum fähig, seine eigene Begeisterung in Grenzen zu halten. »Unser Außerirdischer muss hier ein Erbe hinterlassen haben.«
    Ein Schwall von Flüchen unterbrach die beiden, als Ricardo die Hand von François untersuchte. Die Finger waren geschwollen, und die weiße Gaze um seinen Unterarm war blutdurchtränkt. François schien die Naht während des Marsches aus den selvas aufgerissen zu haben.
    Ricardo hatte den Unterarm des Franzosen noch einmal genäht. Enttäuscht über seine Nähkünste (er redete sich damit raus, dass er wegen des starken Reiseelixiers ein bisschen wirr im Kopf gewesen sei), war er nichtsdestoweniger über seine orthopädische Handarbeit erfreut. »Kommt, seht euch das mal an«, forderte er Samantha und Jack stolz auf. »Mit einem Röntgenbild hätte ich die Finger nicht besser einrenken können.« Während der ganzen Diskussion rauchte François eine

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