Missing Link
Dreck. Immer wieder rief sie Jacks Namen, doch nur ihr Echo antwortete.
Er war fort.
»Er muss den Kanal runtergespült worden sein«, mutmaßte Ricardo.
Auch den mit Schlamm überzogenen Schacht hinunter rief Samantha immer wieder Jacks Namen.
Keine Antwort.
Die Gruppe suchte in dem knöchelhohen Schlamm noch weitere zwanzig Minuten, bis selbst Samantha einsehen musste, dass Jack nirgendwo in dem neu geöffneten Abschnitt zu finden war. Die eine Hälfte in ihr fühlte sich miserabel, die andere klammerte sich an die Hoffnung. Schließlich hatten sie seine Leiche bisher nicht gefunden. Jack könnte noch am Leben sein. Irgendwo.
Während Baines und Bongane loszogen, um von draußen alle verfügbaren Seile zu holen, erklärte Dorn die physikalischen Hintergründe einer Schlammflut, die offenbar für Bergleute eine bekannte Gefahr darstellte. Samantha schnappte nur Einzelheiten von dem Gespräch auf, während sie vor und zurück schaukelte und an den Nägeln kaute.
Dorn erklärte, dass sich durch eine Sprengung oft eine Erdschicht verflüssige und dadurch unterirdische Wasserreservoirs freisetze oder natürliche Barrikaden aufreiße, die die Wasserschicht bislang zurückgehalten hätten. Das Ergebnis sei eine Schlammflut, die einen Tunnel in null Komma nichts füllen könne.
»Ich würde sagen, wir hatten ganz schön Glück, dass es nur eine kleine Verflüssigung war«, endete Dorn.
»Glück?« Samantha hörte auf zu schaukeln. »Vielleicht haben wir Jack verloren, verdammt noch mal!«
Samantha war die Physik egal. Sie fühlte sie nur einfach hilflos. Jack war fort. Fünfzig Minuten waren seit der Schlammflut vergangen, und Baines und Bongane waren auch noch nicht zurück. Samantha wusste, dass mit jeder Minute die Chance, Jack lebend zu finden, schwand. Vor Angst zitterte sie am ganzen Körper.
Als Bongane und Baines endlich mit über ihren Schultern gehängten Seilen über das Geröll geklettert kamen, sprang sie auf.
Sie hatte nicht erwartet, dass irgendjemand sonst den Schacht hinunterklettern würde, um Jack zu suchen. Sie war am kleinsten und leichtesten, und durch ihre Kletterkünste war sie für diese Aufgabe wie prädestiniert. Ricardo reichte ihr eine Taschenlampe. Bongane überprüfte immer wieder die Knoten um Samanthas Hüfte, danach zurrte er diejenigen zwischen den sechs einzelnen Seilen fester. Samantha könnte bis auf eine Länge von fünfundfünfzig Metern hinabgelassen werden.
»Was ist, wenn wir mehr Seil brauchen?«, fragte sie.
»Mehr haben wir nicht«, antwortete Baines. »Für das hier mussten wir schon das ganze Lager absuchen.«
»Wenn wir mehr Seil brauchen, ist die ganze Übung sowieso sinnlos«, meinte Dorn.
Samantha starrte den Schacht hinunter. Der Steintunnel mündete in einer schwarzen Leere. Sie schaltete die Taschenlampe ein. Der scharfe, zehn Zentimeter breite Strahl bohrte sich durch das Schwarz. Sie drehte vorne an der Lampe, und der Strahl weitete sich, sodass mehr von dem Schacht beleuchtet wurde.
»Wenn du willst, dass wir dich hochziehen, gib ein Zeichen«, sagte Dorn. »Zweimal ziehen.«
»Wie wär’s, wenn ich einfach rufe: Holt mich verdammt noch mal hoch?«
»Das ginge auch.«
Bongane hob Samantha in die kleine Kammer, wo sie kurz durchatmete. Mit dem Hintern saß sie auf dem Rand, unter ihr baumelten ihre Füße. »Hast du alle Knoten nachgeschaut?«, fragte sie. Wenn sich einer von ihnen lösen würde, gäbe es keinen Weg mehr zurück.
Bongane nickte.
»Pass auf, dass du das Seil nicht an irgendwelchen Kanten reibst«, riet Baines.
Langsam rutschte Samantha auf dem Rücken hinunter. Von oben wurde das Seil gleichmäßig abgelassen. Samantha betete, dass die Knoten fest genug waren. Ihre Angst hatte kein Ventil. Die engen Mauern, die sie wie in einem Steinsarg einschlossen, sahen gegenüber dem Rest der ganzen Anlage genau gleich aus.
»Wir haben noch zwölf Meter!«, rief Ricardo hinunter.
Sie murmelte Refrains ihr vertrauter Lieder vor sich hin, um sich von der Enge abzulenken. Ab und zu rief sie Jacks Namen. Kurz darauf wurde kein weiteres Seil mehr abgelassen. »Was ist los?«, schrie sie nach oben.
»Das war’s. Fünfundfünfzig Meter«, dröhnte Ricardos Stimme zu ihr herunter.
Samantha sah den Schacht hinab, dann knipste sie die Taschenlampe an. Sie konnte nicht sagen, wie weit der Kanal noch hinunterreichte. »Jaaaack!« Sie wartete, bis ihr Echo verhallt war. Warum hatten sie nicht mehr Seil mitgenommen? Immer wieder rief sie seinen
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