Mission Ares
Vogelperspektive. Die Monochrom-Bilder wirkten wie Luftaufnahmen einer irdischen Wüste…
»Mariner«, sagte Ben Priest, »war ein Schock für uns alle.
Vor Mariner glaubten wir, schon alles über den Mars zu
wissen. Wir glaubten, man könne nur mit einer Atemmaske
ausgerüstet auf der Oberfläche herumspazieren. Wir glaubten, daß die dunklen Flecken auf der Oberfläche jahreszeitlichen Schwankungen unterlägen und daß vielleicht eine Art Vegetation existierte.
Doch nun sieht alles ganz anders aus. Wir haben uns in jeder Hinsicht geirrt. Der Mars hat keine Ähnlichkeit mit der Erde.«
Mariners siebtes Bild war die eigentliche Überraschung.
Das siebte Bild zeigte Krater. Damit hatte nun niemand gerechnet.
Von wegen irdische Wüste. Mars hatte mehr Ähnlichkeit mit dem Mond.
»Wir wissen nun«, sagte Priest, »daß die Atmosphäre sehr dünn ist. Sie besteht überwiegend aus Kohlendioxid und Spuren von Wasserdampf. Sauerstoff gibt es überhaupt nicht.
Nicht einmal Stickstoff… Mariner hat keine Kanäle gefunden.
Obwohl die Sonde ein Gebiet überflogen hat, wo man mit
vielen Kanälen gerechnet hatte.
Alle bisherigen Annahmen waren plötzlich Makulatur. Bei
einer so dünnen Atmosphäre gibt es kein Leben, höchstens primitive Organismen. Kein Vergleich mit terrestrischem Leben. Allerdings wird diese Frage erst dann abschließend beantwortet werden, wenn Menschen dort gelandet sind. Die NASA-Fritzen sagten, das sei ein Schlag ins Kontor gewesen.
Plötzlich war der Mars als Ziel nicht mehr interessant. Wenn wir nicht zum Mars fliegen, wenn die finanziellen und materiellen Ressourcen nicht bereitgestellt werden, dann liegt das in meinen Augen an der Schockwirkung von Mariner 4.«
York zuckte die Achseln. »Aber die NASA hat den Mars
doch jahrelang wie sauer Bier angepriesen. Man hat ihn als eine Art Freizeitpark im Weltraum bezeichnet, auf dem es von Leben nur so wimmelte und der die vielen Milliarden sehr wohl rechtfertigte, die man in Triebwerke und Raumschiffe investieren wollte…«
»Ein Freizeitpark«, sagte Priest lachend. »Wirklich gut.«
Für York war der Mars aber viel mehr. Mariner hatte ihr
Interesse für den Mars geweckt, und sie vertiefte sich in die Geschichte der Phantasien, die sich um diesen Planeten rankten. Sie besorgte sich in der Bibliothek einschlägige Werke. Der Mars als Ursprung des Lebens von Percival Lowell, New York, 1909; Der Mars und seine Kanäle von Lowell, New York, 1906… Sie hatte phantastische Bilder von großen Bewässerungskanälen gesehen, die das Antlitz eines sterbenden, verdorrenden Mars durchfurchten und ausführliche Schilderungen der wogenden Vegetation und der Tierherden gelesen, mit denen die roten Ebenen des Mars angeblich bedeckt waren. Das Mars-Projekt Wernher von Braun, University of Illinois, 1953. Auf dem Einband prangte eine große Rakete, wie bei einem Kinderbuch. Von Braun wollte zehn Raumschiffe im Erdorbit bauen, jeweils mit einer Masse von dreieinhalbtausend Tonnen und einer Besatzung von sieben Mann. Es hätte neunhundert Flüge in den Orbit bedurft, um die Flotte fertigzustellen. Zudem hatte er Zweihunderttonnen-Landungsboote projektiert, die jeweils fünfzig Mann und Vorräte für ein Jahr auf die Oberfläche bringen sollten… Diese Visionen, sagte sie sich, waren infantile Machtphantasien im Gewand seriöser
Konstruktionspläne.
York hatte sich nicht weiter damit befaßt. Schon mit sechzehn hatte York ein Faible für die Stringenz und Logik der Wissenschaft gehabt; sie wurde zunehmend intoleranter
gegenüber Unlogik, Wunschdenken und der emotionalen
Färbung rationaler Prozesse aller Art.
(Folglich war sie den meisten Jungen, mit denen ihre Mutter sie verkuppeln wollte, weit überlegen. Obwohl man hätte annehmen sollen, daß jemand, der eine so schmutzige Scheidung hinter sich hatte wie Maisie York, gelernt hätte, sich nicht in die Beziehungen anderer Leute einzumischen…) Für sie war der wirkliche Mars jedenfalls weitaus interessanter als Lowells anthropozentrische Träume.
Mariner hatte den Mars in einen lohnenswerten Ort für
geologische – oder besser: areologische – Studien verwandelt.
Wie würde die Areologie, die Geologie des Mars, sich von der irdischen unterscheiden? Was würde man dort über die Erde erfahren, das man zuhause nie erfahren hätte?
Wahrscheinlich eine ganze Menge.
Mariners dreizehntes Bild hatte sie elektrisiert.
Das dreizehnte Bild zeigte frostüberzogene Kraterwände.
Mein Gott. Nicht wie
Weitere Kostenlose Bücher