Mission Ares
richtige Teil und die richtige Teilenummer handelte.
Anschließend trug er die Ergebnisse ins TOTE-Blatt ein. Nun übernahm der NASA-Inspektor die Liste und dokumentierte seine eigenen Beobachtungen. Der Fotograf machte eine
Aufnahme von dem Teil. Der Ingenieur steckte die Liste in einen Plastikbeutel, versiegelte und beschriftete ihn und brachte ihn ins Depot.
Falls es dem Ingenieur aufgrund widriger Umstände nicht
gelungen wäre, die Checkliste zu bergen, hätte man alle
Bemühungen zunächst eingestellt und einem Prüfungsausschuß ein geändertes TOTE-Blatt zugeleitet, um die Modifikationen absegnen zu lassen.
… Und so weiter, und so fort.
Die Arbeiter in der radioaktiv verseuchten Kommandokapsel waren inzwischen mit Strahlenschutzanzügen ausgestattet worden. Sie mußten alle paar Stunden duschen und sich einer Strahlenmessung unterziehen.
∗ TOTE-Einheit (Konstruktionslehre): Veränderungs-und Prüfprozeß –
Anm. d. Übers.
Es war eine schwere und diffizile Arbeit, die dadurch
kompliziert wurde, daß nur zwei, maximal drei Leute auf
einmal in die Kommandokapsel paßten. Doch Seger bestand
auf dieser Prozedur, und Muldoon unterstützte ihn. So hatten sie es nach dem Feuer mit Apollo 1 gemacht, und so würden sie es auch mit Apollo-N machen. Es war genau die Art von Arbeit, in die Seger sich gern verbiß.
Zuweilen dachte er an die Begleitumstände des Flugs zurück.
Er erinnerte sich an die zornigen Gesichter der Demonstranten am Tag des Starts. Dieser Anblick verfolgte ihn noch immer.
Und er erinnerte sich, wie die interne Kommunikation seiner Organisation, sogar innerhalb des Kontrollzentrums selbst, an jenem Tag versagt hatte. In seiner Eigenschaft als Leiter des Programm-Büros hatte Seger seinen Leuten schon seit Jahren einen engen Finanz-und Zeitrahmen gesteckt, und sie hatten die Aufgaben auch bewältigt. Doch nun fragte er sich, ob nicht gravierendere Probleme unter der Oberfläche geschwelt hatten, die er nur nicht gesehen hatte. Teufel, vielleicht hatte er sie auch nicht sehen wollen.
Nun, falls es solche Probleme gab, würde er sich darum
kümmern. Man mußte rational handeln und Zweifel
überwinden, wenn man vorankommen und etwas erreichen
wollte. Die Besatzung war sich der Risiken bewußt gewesen, als sie das NERVA-Raumschiff bestiegen hatte. Sie hatte den höchsten Preis gezahlt. Und nun war Seger es ihnen schuldig, daß sie ihr Leben nicht umsonst geopfert hatten. Die NASA mußte daraus lernen und weitermachen.
Wenn er sich nicht gerade im Hangar aufhielt, verbrachte Seger viel Zeit mit Telefongesprächen, bei denen er mit Fred Michaels, Tim Josephson und anderen die Zukunft des Raumfahrtprogramms erörterte.
Es war unstrittig, daß der Zwischenfall das Programm
zurückwarf. Doch Seger wollte das kompensieren, indem er die
›Komplett-Test‹-Methode anwandte. Beim nächsten Flug, so forderte Seger, solle wieder eine bemannte Saturn/NERVA starten. Vielleicht sollte man noch ehrgeiziger sein, eine S-NB
aus dem Erdorbit holen und auf eine Mondumlaufbahn
bringen.
Doch damit war Michaels nicht einverstanden. Michaels
sagte, falls sie nicht gleich zu einer Einstellung des
Nuklearprogramms gezwungen würden, sollten sie lieber noch ein paar unbemannte Tests durchführen und dann das Apollo-N-Missionsprofil wiederholen. Wenn Apollo-N eine sinnvolle Mission gewesen war (und wenn nicht, wieso hatten sie dann drei Leute verloren?) schuldeten sie es dem Programm und dem Andenken an die Besatzung, die Mission durchzuführen.
Seger hielt das für ein rein emotionales Argument.
Sie kauten das stundenlang durch. Manchmal bedauerte Seger es, daß seine persönliche Meinung so stark von Michaels’ und Josephsons Standpunkt abwich. Er mußte sich vorsehen, daß er sich nicht selbst ins Abseits stellte. Wo der erste Schock der Havarie jedoch abgeklungen war, kehrte seine Zuversicht zurück. Er hatte die Sache im Griff. Der Unfall war eine abgeschlossene Sache und lag noch innerhalb der Bandbreite dessen, was menschliche Wesen zu verstehen und zu lösen imstande waren, und man durfte nicht zulassen, daß diese Tragödie die größeren Ambitionen beeinträchtigte.
Er versuchte, im Büro ein Nickerchen zu machen, doch er
fand keinen Schlaf.
Spätestens um sieben Uhr morgens war er entweder in ›O‹
oder telefonierte mit den Leuten in Cape Canaveral, Houston und Marshall, die sich rund um die Uhr mit den Facetten der Havarie beschäftigten.
Am Ende der ersten Woche
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