Mission auf Leben und Tod
herrschte Ebbe, langsam strömte das Wasser in der Fahrrinne hinaus in die Dartford Bay. Flussuferläufer und Sanderlinge rannten durch den Schlick, Küstenseeschwalben stürzten sich kreischend in den träge fließenden Strom. Große Silbermöwen ließen Schalentiere auf den Kiesstrand fallen, um sie zu knacken. Ununterbrochen stürzten sich Seeschwalben auf einen Brassenschwarm, unter dem sich die großen Barsche und Blaufische aufhalten mussten.
Macks Augen glänzten, als er die Angel auswarf. »Tommy, das sind ideale Bedingungen. Holen wir uns auf die Schnelle einen, und dann graben wir ein paar Muscheln aus. Die kann dann Mom für uns kochen.«
»Ich angel einen Fisch«, sagte Tommy. »Bei Ebbe bin ich gut.«
Mack lächelte. »Okay, dann lass mal sehen.«
Tommy warf die Leine mit dem Köder weit hinaus, holte sie schnell ein, beobachtete ihr Glitzern im Wasser und wartete darauf, dass ein Barsch anbiss.
Nichts geschah. Sie warfen beide, versuchten ihren Köder weit hinaus zu der Stelle zu schleudern, wo die Seeschwalben jagten. Aber es wollte kein Fisch beißen. Mack war kurz davor, die Sache abzublasen, als Tommy sagte: »Probieren wir es noch mal. Es muss einer beißen.«
»Ich versteh das nicht – vielleicht gibt es einfach zu viel Beute für sie. Aber … okay. Du als Erster.«
Tommy schwang die Rute über die Schulter, ließ sie nach vorn schnellen und beförderte den Köder in Richtung Seeschwalben. Er ließ den Köder ein wenig sinken und begann dann immer schneller einzuholen. Und da war er, gleich unter der Wasseroberfläche, ein silberner Streifen direkt vor ihnen.
Der große Blaufisch biss an. Er brach aus der Tiefe nach oben, entdeckte den durchs Wasser schießenden Köder und packte ihn mit seinem zahnbewehrten Maul. Der Köder wurde nach unten gezogen. Tommy spürte den unmissverständlichen Ruck. Instinktiv gab er ein wenig Leine, riss dann die Rute zurück, damit sich der Haken festsetzen konnte, und der Fisch kam wieder an die Oberfläche.
»Das ist ein Blaufisch, Tom!«, rief Mack, als die Sonne auf den schimmernden, streifenlosen dunkelblauen Fischkörper fiel. »Hol ihn ein! Das ist Moms Lieblingsfisch.«
Tommy wappnete sich für den Kampf, und Mack, dem der Sturz seines Sohnes beim Baseball noch frisch in Erinnerung war, legte seine Angel weg und schlang die Arme um die Hüfte des Jungen. Er gab keinerlei Anweisungen. Tommy wusste, was er zu tun hatte, und brachte den Fisch ins Seichte, wo Mack übernahm.
Er hob die Angel an, sodass der Kopf des Fisches, in dessen Maul noch immer der Köder steckte, etwa 30 Zentimeter über dem Boden baumelte. Der Blaufisch wehrte sich, schlug und zappelte und versuchte die Leine zu lockern, um den Dreifachhaken wieder loszuwerden. Mit einer schnellen Bewegung packte Mack, der sich vor der scharfen Zahnreihe in Acht nahm, den Fisch an der einzigen Stelle, an der man einen zappelnden Blaufisch packen konnte: der schmalen Stelle zwischen dem Kopf und den rasiermesserscharfen Rückenflossen. »So packen die Bedfords zu«, sagte Mack grinsend. »Vergiss den Griff nicht!«
Kurz betrachteten die beiden den 80 Zentimeter langen silbrigen Fisch. Dann verpasste ihm Mack einen kräftigen Schlag mit dem »Totschläger«, womit er ihn auf der Stelle tötete. Mit einer langen Zange zog er den Haken aus dem Schlund, watete dann in seinen Wasserstiefeln vier Meter weit in den Fluss, legte den Fisch auf einen flachen Felsen, nahm ihn geschickt aus und filetierte ihn. Er packte zwei öltriefende, rosafarbene Filets in die Kühlbox und sagte zu Tommy: »Das war großartig, Junge. Wunderbar. Die Muscheln brauchen wir nicht mehr. Hier haben wir ein hervorragendes Abendessen.«
Er spülte die Überreste des Blaufischs vom Felsen und in die auflaufende Flut, die zweifellos hungrige Krabben mitbringen würde. Doch noch während Mack die Sachen zusammenpackte, kamen schon die Möwen angeflogen, zogen kreischend ihre Kreise und warteten nur darauf, dass sie sich niederstürzen konnten. Er wandte sich zu Tommy. Erst jetzt bemerkte er, dass der Junge mitten auf dem Sand eingeschlafen war.
Mack nahm ihn auf, legte ihn sich an die Schulter und hielt ihn mit dem linken Arm fest. Mit der Rechten griff er sich die beiden Angelruten, den Kescher und die Kühlbox und wünschte sich, sie wären mit dem Wagen gekommen. Trotzdem, Angelruten waren wesentlich leichter als Maschinengewehre. Damit machte er sich auf den Heimweg, eineinhalb Kilometer über die schmale Uferstraße,
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