Mission Clockwork: Angriff aus der Tiefe
Jahren ihre Beziehung beschrieben hätten. Er hatte Tharpa in Bombay aus dem Dreck geholt, aus dem elenden Leben als Unberührbarer. Und so dankte ihm der Mann? Indem er ihn beschuldigte, dass er … dass er … Mr Socrates wusste eigentlich nicht genau, wessen Tharpa ihn beschuldigte.
»Ja, als Freund. Sie sind mein Herr, aber Sie sind auch mein Freund. Das eine schließt das andere nicht aus. Zu dem Schluss bin ich vor langer Zeit gekommen. Ebenso wie Modo sowohl mein Freund als auch mein Schüler ist. Sollte er tot sein, werde ich sehr um ihn trauern.«
» Sollte er tot sein? Das genügt, Tharpa.« Mr Socrates erhob sich mit einem entnervten Knurren. »Telegrafiere an Octavia in Reykjavik. Sie hat alle Aktivitäten abzubrechen und unverzüglich nach London zurückzukehren, um neue Einsatzbefehle zu erhalten.«
»Wenn es das ist, was Sie wünschen, Sahib.«
»Ja, das wünsche ich! Bitte sende die Nachricht sofort!«
Tharpa nickte ernst und verließ den Raum.
Waren denn alle verrückt geworden? Mr Socrates blickte auf seinen Teller mit dem Strudel. Der Arm des toten Mannes. Sein Magen revoltierte und er schob den Stuhl vom Tisch zurück.
Mit schweren Gliedern stieg er die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Er musste entschlossen handeln. Der Tag war noch lange nicht zu Ende, aber hier oben würden ihn weder Tharpa noch der Koch stören.
Als er sich im Spiegel betrachtete, musste er sich eingestehen, dass er sehr wohl älter geworden war. All die Arbeit mit der Ausbildung von Agenten, ihre Vorbereitung für die Einsätze. Sein unerbittlicher Kampf gegen die Feinde des Empires. Viele hatten im Dienst der Sache ihr Leben gelassen. Modo war nur ein weiterer Toter. Ein weiteres Opfer.
Seine Augen wanderten zu dem Porträt seiner Frau Margaret auf der Ankleidekommode. Seit zwanzig Jahren war sie nun tot. Darunter lag das kleine goldene Armband, das er für das Baby gekauft hatte, für den Jungen, bei dessen Geburt seine Frau gestorben war. Das Kind hatte wenige Momente später in seinen Armen den letzten Atemzug getan. Mr Socrates konnte noch immer den leblosen Körper spüren. Sein Kind. Sein Sohn. Tot. Modo tot? Das konnte nicht sein. Er war doch schließlich für derartige Gefahrensituationen hervorragend gewappnet.
Sind Sie sicher, dass Ihr Zorn tatsächlich dem Mädchen gilt, Sahib? Tharpa sprach immer in Rätseln. Man könnte aus der Haut fahren. Was wollte er damit andeuten?
Octavia handelte aus Leidenschaft, nicht aus Vernunft. Sie verdiente seinen Zorn. Und Modo war nicht sein Sohn. Er war ein hochqualifizierter Agent des Britischen Empires. Mr Socrates verschränkte die Arme. Und er selbst war in erster Linie der eiserne Kommandant des mächtigsten Geheimdienstes der Welt. Er musste die Figuren auf dem Schachbrett bewegen, ohne irgendeiner Gefühlsduselei zu erliegen.
Doch all diesen Überlegungen zum Trotz durchschritt er den Raum, öffnete die Tür und ging den Gang entlang bis zum Treppengeländer. Ohne zu wissen, ob man ihn hören würde, rief er: »Tharpa« – seine Stimme war ein heiseres Flüstern – »überweise Octavia fünfhundert Pfund. Sag ihr, sie soll die Suche fortsetzen.«
Aus der Dunkelheit im unteren Stockwerk drang Tharpas Antwort zu ihm herauf: »Sehr wohl, Sahib.«
18
Diebereien und ein geheimer Pakt
A ls Modo nach dem Abendessen in seine Kabine zurückkehrte, fand er die Tür geschlossen vor und alles schien an seinem Platz zu sein. Aber bei einem Blick unter die Matratze entdeckte er, dass der drahtlose Telegraf verschwunden war. Gestohlen! Wie sollte er die Kapitänin deshalb zur Rede stellen, ohne zuzugeben, was genau er vermisste? Sie würde ihm nicht glauben, dass das Gerät ein Fotozubehör war. Jedermann mit technischen Grundkenntnissen würde erkennen, dass es sich um einen drahtlosen Telegrafen handelte. Cerdà würde es mit einem Wimpernschlag erfassen.
Aber hatte der Dieb überhaupt im Auftrag der Kapitänin gehandelt? War das Abendessen eine List gewesen, um in aller Ruhe sein Zimmer zu durchsuchen?
Es gab andere potenzielle Verdächtige. Colette konnte es allerdings nicht gewesen sein, denn sie hatte mit ihm an der Tafel gesessen und war mit ihm gemeinsam gegangen. Dann erinnerte sich Modo an das verführerische Lächeln, das Colette dem Genossen Garay zugeworfen hatte und wie dieser daraufhin errötet war. Sie befand sich seit fast einem Monat an Bord. Zeit genug, um sich ein Mitglied der Mannschaft gefügig zu machen.
Ohne den Telegrafen war er in
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