Mission Clockwork: Angriff aus der Tiefe
Wasser stand Colette mittlerweile bis zu den Knien. Alle drei schöpften jetzt, so schnell sie konnten, aber Fortant kippte nach wenigen Minuten um. Colette und Marlin richteten ihn auf.
»Wir können das Boot nicht retten«, brach es aus ihm hervor. »Klammert euch daran, wenn es kentert.«
»Ich feuere noch ein Leuchtsignal ab!«, schrie Colette und drückte den Abzug. Was sie dann in dem Licht erkannte, ließ eine Woge der Panik in ihr aufsteigen. Haiflossen. Sie umkreisten das Boot, strahlend weiß im Mondlicht.
» Mon dieu! « , keuchte Fortant. »Mein Blut hat sie angelockt! Es tut mir leid – es gibt nur einen Weg, um Sie zu retten.« Bevor Colette und Marlin ihn zu fassen bekamen, hatte er sich schon über Bord fallen lassen.
»Oberbootsmann Fortant! Fortant!«, brüllte Marlin, aber der schwamm bereits langsam davon. Er stieß einen Schrei aus, Colette und Marlin hörten noch ein hektisches Spritzen und Klatschen – und dann nichts mehr.
Das Rettungsboot senkte sich immer weiter im Wasser.
»Wir sind viel zu schwer!«, rief Colette. Eine Welle brachte das Boot zum Kentern und schleuderte sie beide ins Meer. In dem eisigen Wasser konnte Colette keinen klaren Gedanken fassen. Sie schlug wild um sich, das Salzwasser brannte ihr in den Augen. Plötzlich berührte ihre Hand etwas Festes und sie griff danach. Es war der Kiel des Boots.
Marlin klammerte sich bereits auf der anderen Seite daran fest. »Vielleicht sind wir weit genug von den Haien weggetrieben.«
Colettes Zähne klapperten zu heftig, als dass sie hätte antworten können.
»Schlagen Sie nicht mit den Beinen«, flüsterte er. »Bewegungen locken sie an.«
Marlins Sorge war überflüssig. Colettes Beine waren bereits eiskalt und starr. Die Kälte kroch ihr in den Körper, kühlte ihr Blut ab und verlangsamte ihren Herzschlag. Über dem Meer lag eine eigentümliche Ruhe. Die Männer hatten aufgehört, um Hilfe zu rufen.
»Sind sie tot?«, fragte Colette leise. Aber Marlin reagierte nur mit einem harschen Grunzen.
»Marlin!«
»Ich glaube, einer hat mir den Fuß abgebissen«, stieß er mit rauer Stimme hervor. Seine Augen waren angstvoll aufgerissen. »Meine Beine sind taub. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.«
»Klettern Sie höher auf das Rettungsboot!«
»Ich –« Im nächsten Augenblick war er verschwunden, etwas hatte ihn in die Tiefe gerissen.
»Marlin? Nein! Nein! Wo bist du? Marlin!«
Colette spürte eine Berührung am Bein. Sie unterdrückte einen Schrei. Nicht bewegen! Nicht bewegen!
Mehrere Haiflossen zogen dicht an ihr vorüber, dann drehten sie ab. Ein unerwartetes Gefühl erfasste sie, so als ob sie in die Höhe gehoben würde. Unter ihr tauchte etwas aus dem Wasser auf, das größer als ein Hai war.
2
Ein Wolf im Schafpelz
D ie Wolfshunde des Konsuls Gaspar Le Tourneau waren darauf abgerichtet, ihn zu schützen. Er hatte sie in Deutschland erworben und während jener einsamen Jahre an der französischen Botschaft in Berlin hatten sie ihm Gesellschaft geleistet. Dann hatten sie ihn nach New York begleitet und schließlich an die Botschaft in London, wo der Konsul jetzt zu Hause war. Greta und Gunther saßen mit gespitzten Ohren neben ihm. Ihr ehemals dunkles Rückenfell war mittlerweile grau meliert.
Gaspar wusste, dass es eigentlich an der Zeit war, sich nach jüngerem Ersatz umzusehen, doch er hegte eine so große Zuneigung zu diesen beiden Hunden. Und mehr als einmal hatten sie ihm das Leben gerettet.
Heute verhielten sie sich unruhig. Gunther trottete zur Tür hinüber und sie öffnete sich. Siméon, Gaspars persönlicher Diener, trat zögernd ein und sofort fingen die Hunde an zu bellen. Der Konsul verdrehte die Augen. Sie wurden wirklich zu alt. »Ruhe, alle beide!«, befahl er und die Tiere verstummten. Da sie von einem Deutschen ausgebildet worden waren, reagierten sie nur auf Befehle in dieser Sprache. Mit gesträubtem Nackenhaar verfolgten sie jede von Siméons Bewegungen.
»Sie sollten anklopfen«, bemerkte Gaspar auf Französisch. »Sie haben die Hunde nervös gemacht.«
Auf Siméons dickem Gesicht glänzten Schweißperlen. Er trug ein Tablett mit Kaffee und Croissants und warf den Hunden einen ängstlichen Blick zu.
»Ich gedacht, Sie schlafen«, erwiderte er in ungelenkem Französisch. Seine Stimme klang furchtbar heiser.
»Sind Sie krank? Sie bekommen ja nicht einmal einen vernünftigen Satz zusammen! Gehen Sie sofort auf Ihr Zimmer! Tragen Sie Ihre Krankheit nicht in mein
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