Mission Erfolg - Meine Vision mein Plan mein Weg
Vilnius verabschiedete mich Ingo-Rolf Weiss, unser Präsident, offiziell vor der Mannschaft. »Das war heute dein letztes Spiel, mein lieber Dirk«, sagte er, ehe er mich in den Arm nahm. Ich selbst fasste mich ganz kurz. Ein paar knappe Worte, meine Gefühle wollte ich nicht zeigen. Es ging schließlich nicht darum, mich selbst zu therapieren. Das interessiert diese jungen Menschen auch nicht. Ich fasste deshalb kurz die EM noch einmal zusammen und bedankte mich bei allen. Man kritisiert mich schon mal, dass ich zum Lachen in den Keller gehe, in der Öffentlichkeit weniger fröhlich, sondern eher verschlossen und distanziert wirke. Bei Spielen bin ich eben nun einmal sehr fokussiert und nicht locker. Arrogant zu sein liegt mir aber fern. Ich weiß, wer ich bin, woher ich komme und wohin ich will. Wenn mein Auftreten manchmal etwas unnahbar erscheint, bitte ich, mir das nachzusehen. Alles in allem war das schon ein Abschied mit großer Wehmut. Er tat mir sehr weh. Aber es war ja nicht so, dass er unerwartet für mich kam. Ich bin schließlich nicht über Nacht meines Traumjobs beraubt oder wie ein alter Hund vom Hof gejagt worden. Das wäre viel schlimmer gewesen.
Am Anfang dieses Buchs habe ich folgenden Satz geschrieben: »In 22 Jahren als Trainer bin ich vom unbedarften Kämpfer zum mit Narben übersäten Schlachtross geworden. Ich habe viele Schlachten geschlagen, aber bin des Kämpfens nicht müde geworden.« Ich habe von meinen bösen Niederlagen berichtet, die ich in Griechenland und auch in Leverkusen erlitten habe. Diese Erfahrungen sitzen tief, haben Spuren hinterlassen. Als Bundestrainer aber gab es keine Narben. In all den Jahren habe ich mir keine Verletzung zugezogen, die dauerhaft bleibt. Das frühe Aus bei der EM 2011 war eher wie eine Schnittwunde. Als solche tut sie ein paar Tage furchtbar weh, heilt aber auch schnell wieder und hinterlässt nichts.
Ich bin mit absolut gutem Gewissen gegangen. Denn ich weiß: Der deutsche Basketball ist auf einem anderen Niveau als 2003. Die Strukturen sind professioneller. Es gibt mittlerweile einen Athletiktrainer, der das ganze Jahr über auch individuell mit den Jungs arbeitet. Es gibt einen Sportpsychologen, an den sich die Spieler wenden können. Wir sind vor allem in der Jugendarbeit auf einem guten Weg. In den ersten Jahren meiner Amtsperiode waren die Jugendnationalmannschaften immer Fahrstuhlteams, d. h., nie spielten sie alle gleichzeitig auf höchstem Niveau; abwechselnd mussten sie gegen den Abstieg kämpfen. Inzwischen sind sie jedoch stabil.
Acht Jahre lang haben wir mit den Jugendtrainern regelrecht gekämpft, dass sie ihr Bewusstsein verändern sollen. Teilweise habe ich 30 Lehrgänge pro Jahr für sie gegeben. Bei den meisten fehlte nämlich das richtige Verständnis für ihren Job. Viele hielten sich für kleine Bauermänner, kleine Heynckes, kleine Löws oder kleine Phil Jacksons, dachten immer nur an Erfolge. Den Nachwuchs behandelten sie wie Maschinen, deren wichtigste Aufgabe Siege waren. Sie schrien die Kinder an, wenn sie nicht richtig funktionierten, ließen sie zur Strafe laufen und nahmen ihnen auf diese Weise oft die Lust am Basketball. So aber geht es nicht. Basketball ist kein Mickey-Mouse-Heft, Basketball ist wie Goethe. Es ist ein kompliziertes Spiel, das man nicht so einfach versteht. Es gibt viele Jugendliche, die seit Jahren Basketball spielen, aber das Spiel in seiner Komplexität überhaupt nicht durchschaut haben. Deshalb macht es auch keinen Sinn, Jugendmannschaften schon frühzeitig schwere taktische Systeme überzustülpen. Was soll das bringen? Kinder und Jugendliche können nicht jeden Tag vier Stunden trainieren. Ihre Trainingszeit ist begrenzt. Wenn man als Jugendtrainer beginnt, taktische Dinge zu schulen, bleibt zwangsläufig keine Zeit mehr, um jeden Spieler individuell weiterzuentwickeln. Außerdem mindert Taktik in dieser frühen Phase oftmals die Begeisterung am Sport, an der Bewegung. Während meiner Ochsentour als Fortbildungsdozent habe ich den Jugendtrainern immer und immer wieder erklärt, wie sie diese jungen Menschen anzupacken haben. Sie müssen sie loben, sie müssen sie positiv führen, sie müssen sie begeistern, indem sie ihre Stärken hervorheben und ihnen so ein gutes Gefühl vermitteln. Sie müssen in erster Linie das Handwerkszeug, einfaches Werfen und Passen, beibringen. Sie müssen den Kindern ein Einstellungsrepertoire vermitteln, ihnen den richtigen Umgang mit Sieg und Niederlagen erklären.
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